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Boner, Ulrich; Pfeiffer, Franz [Editor]
Dichtungen des deutschen Mittelalters (Band 4): Der Edelstein — Leipzig: Göschen, 1844

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https://doi.org/10.11588/diglit.52929#0017
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XIII
neben dem Renner mit am frühsten und am gewalligsten den Eifer für
unsere alte Litteratur erweckte, würde eine leichte Arbeit sein. — Dieses
Buch ist im Grunde die einzige erfreuliche Erscheinung in dieser ganzen
Periode, denn nichts von dem stcert hier, was noch im Renner abschreckL
Es herscht hier in der Lehre, die auch dem Boner in der Fabel die Haupt-
Cache ist, eine Sicherheit, eine Präcision, eine Bcstimmtheit, Klarheit und
einleuchtende Überzeugung, dass nichts aus diesen Zeiten damit vergli-
chen werden kann; und diese Helle der Einsicht leuchtet aus jeder Zeile,
aus Sprache und Vortrag so schoen heraus, dass man bei Vergleichung
dieser Einfachcit und Perfection mit der embryonenartigen und trüben
Gelehrtenweisheit der Gnomiker nichts besseres sagen kann, als was der
wackere Fabulist selbst davon empsindet. Schmucklos nennt er sein Buch,
und einfältig und ungeziert seine Worte, doch enthielten sie einen Schatz
von weisen Lehren. Die dürre Schale berge ost süssen Kern, ein
kleiner Garten bringe heilsame Frucht. Einfache Worte und einsache
Dichtung möge man nun nicht in der Welt; wer seine Worte künstlich zu
slechten wisse, der dünke nun ein guter Fechter. Wer das Schwert wol
gebrauchen könne, dem sei es nütze, mancher aber trage Speer, Messer
und Schwert, die in seiner Hand wenig frommten. Wem schlichte Worte
nicht nütze seien, der ziehe auch keinen Nutzen von den gezierten.
Mancher predige jetzt hohe Weisheit, der sich doch selber nicht verstchc.
Man kann den Gegensatz des natürlichen Sittenpredigers gegen die ver-
schrobenen Gnomologen kaum besser ausdrücken. Seine Fabel ist im
Vergleich mit der Stricker’schen bedeutend vorgeschritten; seiten treffen
wir hier jene halbwahren, schwankenden, untreffenden Nutzanwendungen,
welche die unangenehme Wirkung machen, wie ein Epigramm mit schiefer
Spitze; sast niemals eine andere als eine moralische Beziehung, und nur
zuweilen die spcciellcrc Anwendung auf Zustände der naeheren Umgebung.
Dies gerade ist ja der ausscrordentliche Werth der in der Fabel aller
Zeiten vorherschenden Moral, dass sie srei von jedem religioes-dogmati-
schen oder vaterländisch- und national-beschränkten die allgemeingül-
tigste Regel der Sitte und des Verkehrs aufstellt, und dies Ausdauernde,
was sich im äussersten Osten sowol wie im äussersten Westen durch Jahr-
tausende berührt hat, muss man doch wol das Wesen der Fabel nennen,
 
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