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IX

L Die Grescliiclitssclireibimg der Abtei Reichenau,

Die merkwürdige Thatsache, daß die Abtei Reichenau bis zum Ende des XV. Jahrhunderts
keine Klostergeschichte von einiger Ausdehnung hervorgebracht hat, verschafft der Chronik des
Gallus Ohem ihren hervorragenden Platz unter den Geschichtsquellen dieses Klosters. Gallus Ohem
hat es als erster unternommen, das, was zu verschiedenen Zeiten für die Hausgeschichte geleistet
war, was sich an urkundlichem Material angesammelt hatte, zahlreiche kleinere Eintragungen in
die Handschriften der Bibliothek, unter Zuhülfenahme der üblichen Handbücher zu einer zusammen-
hängenden Klosterchronik zu verarbeiten. Nun würde seine Arbeit für uns nur den Wert einer
übersichtlichen Zusammenfassung haben, wenn er nicht auch eine Anzahl jetzt verlorener Quellen
benutzt hätte; andere freilich, uns noch zu Gebote stehende Hülfsmittel scheint Ohem übersehen
zu haben. Nach jeder Richtung wird sich deshalb die Bedeutung seiner Chronik aus einer Dar-
stellung der Reichenauer Geschichtsschreibung am besten erkennen lassen.

Für die Gründungsgeschichte des Klosters fehlt es an gleichzeitigen Aufzeichnungen; nur
die Bruchstücke einer Urkunde Karl Martells für den hl. Pirminius geben uns Nachrichten von
Zeit [724] und Gelegenheit der Gründung und den bei derselben beteiligten Personen1). Eine Vita
Pirminii ist in Reichenau nicht entstanden; die Hornbacher Arbeiten sind für die Reichenauer
Geschichte absolut wertlos2). In St. Gallen scheint man an den frühesten Schicksalen des be-
nachbarten Klosters kein Interesse genommen zuhaben; auch für die spätere Zeit bieten die Casus
nur wenige Notizen3).

Aus dem Ende des VIII. Jahrhunderts besitzen wir unmittelbar nichts als einige rein juristische
Formeln mit wenigen Phrasen für klösterliche Briefe4). Allein die Anfänge der verschiedenen
kurzen Aufzeichnungen, welche im Mittelalter überall der eigentlichen Geschichtsschreibung voraus-
gehen, reichen unzweifelhaft in dieses Jahrhundert zurück.

Ein magerer Grundstock von Annalen, wie man ihn von auswärts übernommen hatte3),
wurde abgeschrieben, zu Eintragungen benutzt und wohl auch entsprechend fortgesetzt; so besitzen

J) Urk.-Fälsch. Exkurs 1.

2) ib. p. 102. Das Gleiche gilt von den Pirmin zugeschriebenen theologischen Abhandlungen: Scarapsus
[neu herausgegeben und erläutert von Caspari, Kirchenhistor. Anecdota I, 1883] und Dicta abbatis Pirminii [wo-
zu Egli, K.-Gesch. d. Schweiz in Theol. Zs. a, d. Schweiz, (1892) IX, 154 zu vergleichen]. Zu Pirminius vergl.
Öhem 5 — 15; 14, 3 ist die kleine Schrift von Trudp. Neugart: Feyrliche Übersetzung etlicher Gebeine des hl. Bf.
und Abts Pirminius aus — Innsbruck — in das Stift St. Blasi, 1777, 4°, nachzutragen.

3) Vgl. unten p. 39, 28. 73, 14. 90, 22.

4) IMG. Formulae, 339. Collectio A und B. Der Codex traditionum scheint nicht verloren, sondern vernichtet
zu sein; einige Bruchstücke hat Mone auf dem Deckel der Eeichenauer Hs- 249 [37] von 1457 gefunden und in
seinem Anzeiger [III, 1834, p. 138] veröffentlicht.

5) Wattenbach I, 139. 269.

Brandi, Geschichte der Abtei Reichenau II. B
 
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