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Braun, Edmund Wilhelm
Ein Trierer Sacramentar vom Ende des X. Jahrhunderts: (Universitätsbibl. Freiburg i. B. MS. 360a) — Heidelberg, 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.71629#0015
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genaues Durchforschen der gesamten erhaltenen Altertümer, Münzen,
Siegel etc. ist unumgänglich notwendig. Die Kunst ist, im mathema-
tischen Sinne gesprochen, die Funktion der kulturellen Faktoren und
Organe. Erst wenn das ganze grosse Material vollständig gesichtet
vorliegt, kann man daran denken, mit einem wohlgefügten System von
Fragen, die man bei den Einzeluntersuchungen gefunden hat, an die
Masse heranzugehen. Die Fragen werden sich alle beantworten lassen.
Sie ergeben sich also experimentell bereits bei den Detailstudien, sie
fallen heraus, um zu einer wohlgeordneten Phalanx angeordnet zu werden,
mit der man die Schwierigkeiten mittelalterlichen Kunstschaffens besiegen
wird. Die bereits früher erworbenen, meist ikonographischen Resultate
sind festzuhalten und mitzuverwerten, doch muss stets der entwicklungs-
geschichtliche Standpunkt festgehalten werden. Man wird sich hüten
müssen, in die von Springer1) schon abgethane Symbolisierei zurück-
verfallen. Auch die byzantinische Frage2), der Einfluss der byzantinischen
Kunst auf unsere mittelalterliche Kunstproduktion ist hoffentlich auch
bald als gelöst anzusehen.
Ferner ist es ein durch viele Belege bewiesenes Grundprinzip mittelalter-
licher Kunst, dass sie ursprünglich als Bibel der Analphabetiker 3) galt.
Man wird sodann die oft ausgesprochene Ansicht, als ob künst-
lerische Eigenart und Produktivität in der mittelalterlichen Kunst völlig
fehlten, einschränken müssen. Der frühverstorbene feinsinnige Portheim
hat schon davor gewarnt4). Er wies darauf hin, wie ein mittelalterlicher
Maler die lange Reihe von typisch festgestellten Heiligen- und Bibeldarstel-
lungen hindurch, welche ihm wenig Abänderung gestatteten, sich nach einer
Szene oft sehnte, wo er wirklich selbständig, künstlerisch schaffen konnte.
Dabei bricht auch manchmal der tiefe deutsche Humor 5) hindurch, den

9 Ikonographische Studien in Mitteilungen d. k. k. Centralkommission V
1860 u. Die Quellen der Kunstdarstellungen im Mittelalter in: Berichte der
Verhandlgn. d. kgl. sächs. Ges. d. Wiss. Philologisch-histor. Klasse 1879.

2) Beissel. Stimmen aus Maria-Laach XXVII 1884. Weitere Litteratur
bei Voege Malerschule S. 153 ff.

3) Ficker. Mitralis d. Sicardus S. 2/3. Schnaase 2 III 568. IV 330.
Didron Iconogr. ehret, p. 5/6. Kugler. Gesch. d. Malerei 2I 145. Rahn.
Mittlgn. d. antiq. Ges. XX. 31 ff. Springer in Lützows Zeitschr. IX. 387.

4) Repertorium XI S. 191.

5) Das Bild des thronenden Gregorius in dem zu Trier unter Egbert
entstandenen Registrum Gregorii zeigt den Papst, wie er einem jungen Kleriker
diktiert. Er ist dessen Blicken durch einen Vorhang entzogen, in den jedoch
der vorwitzige Schreiber mit dem Stilus ein Loch macht und hindurchsieht,
Vgl. unten.
 
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