596 Fünfter Abschnitt: Der Schmuck der Reliquiare künstlerisch betrachtet
Lehrreiche Beispiele von Reliquiaren aus dem späten i5. und dem frühen 16. Jahr-
hundert, die profane Darstellungen als Schmuck aufweisen, begegnen uns auch un-
ter den Abbildungen der Reliquienbehälter des Ilalleschen Heiltumsschatzes im Hal-
leschen Heiltumsbuch. So eine Truhe mit profanen Kampfszenen; ein sechsseitiger
Kasten mit einer Kampfszenc (der Verteidigimg der Tiberbrücke durch Horatius
Codes) und einer Gerichtsszene; ein Pokal, auf dessen Deckel ein Bergwerksbelrieb
wiedergegeben ist; ein Prunkpokal mit Jagdszenen an der Zarge des Fußes und Bil-
dern von Helden (Kaiser Julius, König David, Judas Machabäus u. a.) an der Kuppa;
ein Doppelpokal aus Kristall mit phantastischen, profanen Emailbildern an dem Fuß
und an der Fassung der Kuppa; eine Pyxis mit einer Darstellung der auf dem Bücken
des auf Händen und Füßen kriechenden Aristoteles reitenden Pliyllis und der ihren
Vater trunken machenden Tochter Lots (i.Mos. 19, 3if), Szenen, die uns auch auf
dem zweiten der vorhin genannten Beliquiare im Dom zu Münster begegnen, sowie
ein Tafelaufsatz in Form eines Schiffes mit profanen Darstellungen in Muschel-
schnitt auf dem Fuß, am Rumpf und am Bord.sl
Keines dieser Reliquiare mit profanem Bildwerk war hergestellt wor-
den, um als Reliquienbehälter zu dienen. Sie waren alle ihrer ursprüng-
lichen Bestimmung nach weltliches Gerät für den häuslichen Gebrauch,
das entweder als Handelsware oder auf Bestellung hin verfertigt worden
war. In kirchlichen Besitz mögen einzelne durch Kauf gekommen sein, die
meisten werden jedoch wohl durch Schenkung oder Vermächtnis mit der
Auflage, als Reliquiare zu dienen, in ihn gelangt sein. Daß man sie aber
trotz ihres profanen, bisweilen sogar — so bei manchen der byzantini-
schen Kästchen und Schreinchen sowie bei dein pokal förmigen Reliquiar
im Dom au Münster und der Pyxis im Halleschen Heiltumsschatz mit der
Aristotelesszene und der Szene der Töchter Lots — reichlich unpassenden
Bildwerkes als Reliquiare verwendete, hatte zum Teil seinen Grund im Man-
gel an religiösem Zartgefühl, vornehmlich aber in einer gewissen naiven
Unbefangenheit, welche auf den Gegenstand der Darstellung nicht achtete
und in dieser ebenso lediglich Ornament sah, wie in Blumen, Blattwerk,
Rankenwerk, phantastischen Tiergestalten und sonstigen ornamentalen
Motiven. Es ist dieselbe Unbefangenheit, die man im Mittelalter auch an
den Tag legte, wenn man Seidenstoffe mit der Sache wenig angemessenen
Mustern, wie beispielsweise mit Mädchen, die Wasser schöpfen, um Hunde
damit zu tränken, aus einer Tritonsmuschel hervorragenden Frauengestal-
ten, die Netze auswerfen, Affen im Spiel mit einem auf einem Karren
sitzenden Hund, Reitern zu Pferde und im Kampf mit Bestien, Jagdszenen
u.a., zur Anfertigung von Meßgewändern und sonstigen gottesdiensl-
lichen Paramenten benutzte. Wenn man auch solche Stoffe dazu nicht
verschmähte, dann geschah es, weil man, den Gegenstand der Muster über-
sehend, diese lediglich als gefälliges Ornament wertete. Nicht anders aber
hielt man es bei Schreinchen, Kästchen, Pokalen und andern mit profanen,
» Halm und Berliner Tfl. 20a und b, 123, 142a, 144, 162, 176.
Lehrreiche Beispiele von Reliquiaren aus dem späten i5. und dem frühen 16. Jahr-
hundert, die profane Darstellungen als Schmuck aufweisen, begegnen uns auch un-
ter den Abbildungen der Reliquienbehälter des Ilalleschen Heiltumsschatzes im Hal-
leschen Heiltumsbuch. So eine Truhe mit profanen Kampfszenen; ein sechsseitiger
Kasten mit einer Kampfszenc (der Verteidigimg der Tiberbrücke durch Horatius
Codes) und einer Gerichtsszene; ein Pokal, auf dessen Deckel ein Bergwerksbelrieb
wiedergegeben ist; ein Prunkpokal mit Jagdszenen an der Zarge des Fußes und Bil-
dern von Helden (Kaiser Julius, König David, Judas Machabäus u. a.) an der Kuppa;
ein Doppelpokal aus Kristall mit phantastischen, profanen Emailbildern an dem Fuß
und an der Fassung der Kuppa; eine Pyxis mit einer Darstellung der auf dem Bücken
des auf Händen und Füßen kriechenden Aristoteles reitenden Pliyllis und der ihren
Vater trunken machenden Tochter Lots (i.Mos. 19, 3if), Szenen, die uns auch auf
dem zweiten der vorhin genannten Beliquiare im Dom zu Münster begegnen, sowie
ein Tafelaufsatz in Form eines Schiffes mit profanen Darstellungen in Muschel-
schnitt auf dem Fuß, am Rumpf und am Bord.sl
Keines dieser Reliquiare mit profanem Bildwerk war hergestellt wor-
den, um als Reliquienbehälter zu dienen. Sie waren alle ihrer ursprüng-
lichen Bestimmung nach weltliches Gerät für den häuslichen Gebrauch,
das entweder als Handelsware oder auf Bestellung hin verfertigt worden
war. In kirchlichen Besitz mögen einzelne durch Kauf gekommen sein, die
meisten werden jedoch wohl durch Schenkung oder Vermächtnis mit der
Auflage, als Reliquiare zu dienen, in ihn gelangt sein. Daß man sie aber
trotz ihres profanen, bisweilen sogar — so bei manchen der byzantini-
schen Kästchen und Schreinchen sowie bei dein pokal förmigen Reliquiar
im Dom au Münster und der Pyxis im Halleschen Heiltumsschatz mit der
Aristotelesszene und der Szene der Töchter Lots — reichlich unpassenden
Bildwerkes als Reliquiare verwendete, hatte zum Teil seinen Grund im Man-
gel an religiösem Zartgefühl, vornehmlich aber in einer gewissen naiven
Unbefangenheit, welche auf den Gegenstand der Darstellung nicht achtete
und in dieser ebenso lediglich Ornament sah, wie in Blumen, Blattwerk,
Rankenwerk, phantastischen Tiergestalten und sonstigen ornamentalen
Motiven. Es ist dieselbe Unbefangenheit, die man im Mittelalter auch an
den Tag legte, wenn man Seidenstoffe mit der Sache wenig angemessenen
Mustern, wie beispielsweise mit Mädchen, die Wasser schöpfen, um Hunde
damit zu tränken, aus einer Tritonsmuschel hervorragenden Frauengestal-
ten, die Netze auswerfen, Affen im Spiel mit einem auf einem Karren
sitzenden Hund, Reitern zu Pferde und im Kampf mit Bestien, Jagdszenen
u.a., zur Anfertigung von Meßgewändern und sonstigen gottesdiensl-
lichen Paramenten benutzte. Wenn man auch solche Stoffe dazu nicht
verschmähte, dann geschah es, weil man, den Gegenstand der Muster über-
sehend, diese lediglich als gefälliges Ornament wertete. Nicht anders aber
hielt man es bei Schreinchen, Kästchen, Pokalen und andern mit profanen,
» Halm und Berliner Tfl. 20a und b, 123, 142a, 144, 162, 176.