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Braus, Hermann
Anatomie des Menschen: ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte (Band 3): Centrales Nervensystem — Berlin, Heidelberg, 1932

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https://doi.org/10.11588/diglit.15176#0069
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58

Rückenmark.

aus der gesamten Peripherie des Körpers, und aus den Integrationsorten des
Gehirns. Jede motorische Vordersäulenzelle ist ein Teilgetriebe, unentbehrlich
für das Gesamtgetriebe, ähnlich dem Stellwerk des Bahnhofes. Jede Unter-
brechung eines der am Wurzelneuron endigenden Leitungsbögen stört als Aus-
fall an Impulsen das Teilgetriebe und damit das Gesamtgetriebe. Und es ist
nur eine Frage der Zahl der ausgefallenen Leitungsbögen und der besonderen
Bedeutung des einen oder anderen, ob die Störung geringfügig und kaum be-
merkbar oder schwerwiegend ist. Die Unterbrechung des Großhirnleitungs-
bogens greift sehr viel tiefer in das Teilgetriebe ein als die eines kurzen Leitungs-
bogens des Elementarapparates. Jede Rückenmarkshälfte enthält, der Zahl
der motorischen Wurzelzellen entsprechend, etwa 100000 solcher Teilgetriebe.
Die Störung eines einzelnen wird also für das Gesamtgetriebe belanglos sein.
Aber mit guten Gründen beginnt der Nervenarzt die Untersuchung seines
Kranken mit der Untersuchung der Teilgetriebe, über welche ihm die Prüfung
der Reflexe Auskunft gibt.

Gibt die eben durchgeführte Betrachtung ein Bild von der Konzentration
der Leitungsbögen und damit der Erregungsimpulse auf die motorischen Neuren
der vorderen Wurzeln, so lehrt die Verfolgung einer Faser der hinteren Wurzel
die Verzweigung des Leitungsweges und die Ausbreitung des Impulses. Wahr-
scheinlich geschieht die Zuleitung für extero- und propriozeptive Reize bzw.
für Oberflächen- und Tiefensensibilität auf verschiedenen, nicht auf den gleichen
Hinterwurzelfasern. Wahrscheinlich hat auch der Eigenapparat seine eigenen
zuführenden Fasern für extero- und propriozeptive Reize, während die des
Integrationsapparates mindestens zum Teil zugleich mit dem Elementarapparat
verbunden sind (vgl. Großhirnleitungsbogen S. 54). In den Abb. S. 60 u. 61
ist nur für den Elementarapparat die Verzweigung der Leitungswege der proprio-
und exterozeptiven Reize dargestellt, und zwar jeweils von einer einzigen Hinter -
wurzelfaser aus. Diese teilt sich (vgl. S. 47) innerhalb des Rückenmarks in
einen auf- und einen absteigenden Ast, die beide ebenso wie ihre Kollateralen
an Strangzellen des Eigenapparates endigen. Deren Neuriten, wieder in auf-
und absteigenden Ast sich teilend, führen zu motorischen Wurzelzellen der
gleichen wie der anderen Seite. Von einer einzigen Hinterwurzelfaser aus kann
also die Erregung auf eine größere Zahl von motorischen Zellen und Muskeln
höherer und tieferer Segmente übertragen werden. Wie die zuführenden Hinter-
wurzelfasern für extero- und propriozeptive Reize wahrscheinlich verschieden
sind, so auch die den Weg fortsetzenden Strangzellen des Eigenapparates.
In den Abb. S. 60 u. 61 ist die Verschiedenheit der Wege in der Art zum
Ausdruck gebracht, wie sie nach dem Urteil der Neurologen die größte Wahr-
scheinlichkeit für sich hat. Nun sind in den Fila radicularia jedes Rücken-
markssegmentes Tausende von afferenten Fasern statt nur je einer wie in den
Abbildungen enthalten. Man,hat z. B. beim Menschen gezählt in den hinteren
Wurzeln von C8 15 044, D7 4171, Lx 7477, L2 7843 markhaltige Fasern. Damit
steigt die Zahl der anschließenden Wege ins völlig Unübersehbare, besonders
wenn man berücksichtigt, daß schon jede der dargestellten Hinterwurzelfasern
und Strangfasern sicherlich sehr viel mehr Kollateralen entsendet als im Schema
gezeichnet sind, und die Erregung also auch auf sehr viel mehr Vorderwurzel-
zellen überträgt. De facto kann jedenfalls, wie die Versuche an strychnin-

Erklärung zu der Abbildung auf S. 59.

Abb. 52. Schematische Darstellung einiger von den Leitungsbögen, auf denen der motorischen Vordersäulen-
zelle ständig gleichzeitig Erregungen von der Körperperipherie zuströmen. Das motorische Wurzelneuron
stellt den für alle Leitungsbögen gemeinsamen peripheren Weg dar. — Schwarz: Leitung aus Sehnen und
Haut (direkter und indirekter Reflexbogen) und aus dem Gleichgewichtsorgan (Statotonus); blau: Leitung
aus der Haut (Schmerz); rot: aus den Muskeln (Kleinhirnbogen. Bewegungskoordination), aus dem Sehorgan;

gelb: aus der Haut (Großhirnleitungsbogen, centrale Hemmung).
 
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