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Brinckmann, Albert E.
Europäische Humanitas: Dürer bis Goya — München: Desch, 1950

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https://doi.org/10.11588/diglit.59481#0072
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Erziehung der Kinder

Gatte ist er kaum gewesen. In reicher Londoner Umgebung ver-
gaß er Gerberswitwe und die Kinder.
Anders als diese Gealterte sieht der modisch gekleidete und frische
Mann auf dem Familienbild des Utrechters Scorel drein, über
die besetzte Tafel gegen den Betrachter sein gefülltes Glas zum
Trunk erhebend, stolz das Söhnchen umfassend, die ring-
geschmückte Linke auf die Schulter der kleinen Tochter legend.
Die Kinder lachen, albern, sind laut und derb, die Schwester
neckt den Bruder mit einer Kirsche ■— wer holländische Kinder
kennt, ist sehr erinnerungsreich berührt. (Rechts, hier nicht ab-
gebildet, die Mutter sitzend, ein wenig stur, mit einem strampeln-
den nackten Jüngsten.) Man meint, einen florierenden Utrechter
Kaufherrn vor sich zu haben, der sein Geschäft und die Familie
mit Selbstbewußtsein wachsen sieht, sattsam die Freuden seines
Daseins im reichen Holland genießt.
Nun beginnen auch Humanismus und Reformation, sich päda-
gogisch mit Kindern zu beschäftigen. Der Holländer Erasmus
schreibt über Kindererziehung und Benehmen derselben: „Wer
sieht nicht, daß die vollkommen verkehrt handeln, die größte Sorg-
falt auf ihre Geschäfte legen, sich aber um die Erziehung und
Bildung ihrer Kinder so gut wie nicht bekümmern ? . . . Viel
wirkt die Natur, mehr die Erziehung . . . Einen Sohn haben, der
seiner Sippe ein zuverlässiger Schutz, seinem Weibe ein treuer
Gatte, seinem Vaterlande ein tapferer und nützlicher Bürger ist.. . .
Du öffnest Quellen für das Gute und Rechte, wenn du Mittel
für die Wohlerziehung deines Sohnes aufwendest. . . Sind die
Kinder der Bürger geringere Menschen als die der Könige ? Soll
nicht einem jeden sein Kind so lieb sein, als wenn es königlich
wäre?“ Auch den Lehrern wird ins Gewissen geredet: „Es gibt
einige von so ungeschliffenem Wesen, daß selbst deren eigene
Frauen sie nicht leiden können. Sie zeigen ein grimmiges Ge-
sicht, finsteres Gebaren; sie können nicht gütig sprechen, nicht
den Lachenden freundlich begegnen.“ Und an die Jugend ge-
wendet: „Es ist unschön, im Gespräch Gesichter zu schneiden,
die Nase zu rümpfen, die Stirn zu runzeln, die Lippen zu zerren,
den Mund aufzureißen, den Kopf zu schütteln, daß die Haare

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