492 Über die kunstgesehichtliche Stellung der pergamenischen Cligantomachie.
Befriedigung, ohne welche wahrer Genuß nicht denkbar ist.“ So glaube
ich behaupten zu dürfen, daß jene Wechselbeziehungen zwischen Bau- und
Bildwerk auch bei den pergamenischen Skulpturen schon bisher unbewußt
auf den Beschauer gewirkt haben, daß das unbewußte Gefühl, es sei hier
ein großes Problem nach seinen Grundvoraussetzungen mit genialem Blicke
gelöst, jene innere Beruhigung und Befriedigung erzeugt habe, die in
der hohen Bewunderung dieser Skulpturen so vielfachen Ausdruck ge-
funden hat.
Mit dieser Wirkung hängt es aber offenbar zusammen, daß der Be-
schauer ebenso unbewußt gewisse Anforderungen, die er an Werke anderer
Art zu stellen gewohnt ist, hier gar nicht erhebt. Dahin gehört, daß, ob-
wohl der Zweck des gesamten Baues, sowie der Gegenstand der Darstellung
selbst ein religiöser ist, doch das Fehlen eines spezifisch religiösen Elementes,
auf welches oben ausführlich hingewiesen wurde, gar nicht empfunden wird.
Wir verlangen nicht eine Verherrlichung des einen oder des anderen Gottes,
wo alle, ein jeder nach seiner Kraft und der besonderen Art der Bewaff-
nung in Anspruch genommen wird, wo sie alle, als eine einzige einheitliche
Potenz gegen eine andere, mit gleichen Ansprüchen auftretende Potenz im
Kampfe begriffen sind. Um uns hierüber noch klarer zu werden, setzen
wir einmal unter den gleichen architektonischen Bedingungen an die Stelle
der Gigantomachie eine Hunnenschlacht oder etwa den Vernichtungskampf
der christlichen Zivilisation gegen den Islam und fragen uns, ob darin
wohl einzelne hervorragende Heldenabenteuer oder noch so schöne, mensch-
lich rührende Züge und Episoden, wie etwa die Fortschaffung, Pflege der
Verwundeten oder Totenklage einen passenden Platz finden dürften? Sie
würden uns mehr zerstreuen und verwirren und von der welthistorischen
Bedeutung des Ganzen abziehen.
So müssen wir schließlich anerkennen, daß die Künstler sich von
einem innerlich vollkommen berechtigten Empfinden haben leiten lassen,
wenn sie das gesamte psychologische Element in den Hintergrund drängten
und in der Entwickelung des Themas den Kampf als Kampf in der Mannig-
faltigkeit seiner materiellen Phasen in den Vordergrund stellten.
Sind damit die Grundbedingungen einer tektonisch dekorativen Kunst
erfüllt, so durfte nun allerdings in der technisch-künstlerischen Ausführung
des Einzelnen den mannigfach veränderten Bedingungen, wie sie durch die
Anschauungen der Zeit und andere Verhältnisse gegeben waren, entsprechende
Rechnung getragen werden. Nur sollen wir uns dieser Grenzen bewußt
bleiben und uns nicht durch den äußeren Glanz der Darstellung verleiten
lassen, diese Arbeiten über andere zu erheben, welche, unter ganz verschie-
denen Voraussetzungen entstanden, auch anderen und zum Teil höheren An-
forderungen entsprechen. Wollen wir einmal vergleichen, so mögen wir
vielmehr unsern Blick von der vorhergehenden griechischen Kunst ab und
auf die Kunst anderer Völker und Zeiten hinlenken und uns fragen, welchen
Erscheinungen wir dort allerdings nicht unter durchaus entsprechenden, aber
doch annähernd analogen Verhältnissen begegnen.
Nur zwölf Jahre nach Raffaels frühzeitigem Tode begann sein be-
deutendster Schüler, Giulio Romano, zu Mantua im Palazzo del Tè, den
Sturz der Giganten zu malen, also denselben Gegenstand, welchen die Per-
gamener plastisch ausführten. Indem es der Zufall fügte, daß ich wenige
Befriedigung, ohne welche wahrer Genuß nicht denkbar ist.“ So glaube
ich behaupten zu dürfen, daß jene Wechselbeziehungen zwischen Bau- und
Bildwerk auch bei den pergamenischen Skulpturen schon bisher unbewußt
auf den Beschauer gewirkt haben, daß das unbewußte Gefühl, es sei hier
ein großes Problem nach seinen Grundvoraussetzungen mit genialem Blicke
gelöst, jene innere Beruhigung und Befriedigung erzeugt habe, die in
der hohen Bewunderung dieser Skulpturen so vielfachen Ausdruck ge-
funden hat.
Mit dieser Wirkung hängt es aber offenbar zusammen, daß der Be-
schauer ebenso unbewußt gewisse Anforderungen, die er an Werke anderer
Art zu stellen gewohnt ist, hier gar nicht erhebt. Dahin gehört, daß, ob-
wohl der Zweck des gesamten Baues, sowie der Gegenstand der Darstellung
selbst ein religiöser ist, doch das Fehlen eines spezifisch religiösen Elementes,
auf welches oben ausführlich hingewiesen wurde, gar nicht empfunden wird.
Wir verlangen nicht eine Verherrlichung des einen oder des anderen Gottes,
wo alle, ein jeder nach seiner Kraft und der besonderen Art der Bewaff-
nung in Anspruch genommen wird, wo sie alle, als eine einzige einheitliche
Potenz gegen eine andere, mit gleichen Ansprüchen auftretende Potenz im
Kampfe begriffen sind. Um uns hierüber noch klarer zu werden, setzen
wir einmal unter den gleichen architektonischen Bedingungen an die Stelle
der Gigantomachie eine Hunnenschlacht oder etwa den Vernichtungskampf
der christlichen Zivilisation gegen den Islam und fragen uns, ob darin
wohl einzelne hervorragende Heldenabenteuer oder noch so schöne, mensch-
lich rührende Züge und Episoden, wie etwa die Fortschaffung, Pflege der
Verwundeten oder Totenklage einen passenden Platz finden dürften? Sie
würden uns mehr zerstreuen und verwirren und von der welthistorischen
Bedeutung des Ganzen abziehen.
So müssen wir schließlich anerkennen, daß die Künstler sich von
einem innerlich vollkommen berechtigten Empfinden haben leiten lassen,
wenn sie das gesamte psychologische Element in den Hintergrund drängten
und in der Entwickelung des Themas den Kampf als Kampf in der Mannig-
faltigkeit seiner materiellen Phasen in den Vordergrund stellten.
Sind damit die Grundbedingungen einer tektonisch dekorativen Kunst
erfüllt, so durfte nun allerdings in der technisch-künstlerischen Ausführung
des Einzelnen den mannigfach veränderten Bedingungen, wie sie durch die
Anschauungen der Zeit und andere Verhältnisse gegeben waren, entsprechende
Rechnung getragen werden. Nur sollen wir uns dieser Grenzen bewußt
bleiben und uns nicht durch den äußeren Glanz der Darstellung verleiten
lassen, diese Arbeiten über andere zu erheben, welche, unter ganz verschie-
denen Voraussetzungen entstanden, auch anderen und zum Teil höheren An-
forderungen entsprechen. Wollen wir einmal vergleichen, so mögen wir
vielmehr unsern Blick von der vorhergehenden griechischen Kunst ab und
auf die Kunst anderer Völker und Zeiten hinlenken und uns fragen, welchen
Erscheinungen wir dort allerdings nicht unter durchaus entsprechenden, aber
doch annähernd analogen Verhältnissen begegnen.
Nur zwölf Jahre nach Raffaels frühzeitigem Tode begann sein be-
deutendster Schüler, Giulio Romano, zu Mantua im Palazzo del Tè, den
Sturz der Giganten zu malen, also denselben Gegenstand, welchen die Per-
gamener plastisch ausführten. Indem es der Zufall fügte, daß ich wenige