§74 Malerei des XVI. Jahrhunderts. Michelangelo.
angelo's) ist die Belebung Adams. Von einer Heerschaar jener gött-
lichen Einzelkräfte, tragenden und getragenen, umschwebt, nähert sich
der Allmächtige der Erde und lässt aus seinem Zeigefinger den Fun-
ken seines Lebens in den Zeigefinger des schon halb belebten ersten
Mensehen hinüberströmen. Es giebt im ganzen Bereiche der Kunst
kein Beispiel mehr von so genialer Übertragung des Übersinnlichen
in einen völlig klaren und sprechenden sinnlichen Moment. Auch die
Gestait des Adam ist das würdigste Urbild der Menschheit.
Die ganze spätere Kunst hat sich von dieser Auffassung Gottes
des Vaters beherrscht gefühlt, ohne sie doch erreichen zu können.
Am tiefsten ist Bafael (in den ersten Bildern der Loggien) darauf
eingegangen.
Die nun folgenden Scenen aus dem Leben der ersten Menschen
erscheinen' um so gewaltiger, • je einfacher sie die uranfängliche Exi-
stenz darstellen. „Sündenfall und Strafe" sind mit ergreifender Gleich-
zeitigkeit auf Einem Bilde vereinigt; die Eva im Sündenfall zeigt,
welche unendliche Schönheit dem Meister zu Gebote stand. Als Com-
position von wenigen Figuren steht „Noahs Trunkenheit" auf der
Höhe alles Erreichbaren. Die „Sündfluth" contrastirt zwar nicht glück-
lich mit dem Massstab der übrigen Bilder, ist aber reich an den wun-
derwürdigsten Einzelmotiven.
Die Propheten und Sibyllen, die grössten Gestalten dieses
Baumes, erfordern ein längeres Studium. Sie sind keinesweges alle
mit derjenigen hohen Unbefangenheit gedacht, welche aus einigen der-
selben so überwältigend spricht. Die Aufgabe war: zwölf Wesen
durch den Ausdruck höherer Inspiration über Zeit und Welt in das
Übermenschliche emporzuheben. Die Gewaltigkeit ihrer Bildung allem
genügte nicht; es bedurfte abwechselnder Momente der höchsten gei-
stigen und zugleich äusserlich sichtbaren Art. Vielleicht überstieg
dieses die Kräfte der Kunst. — Die je zwei Genien, welche jeder Ge-
stalt beigegeben sind, stellen nicht etwa die Quelle und Anregung der
Inspiration vor, sondern Diener und Begleiter; sie sollen durch ihre
Gegenwart die Gestalt heben, als eine überirdische bezeichnen; durch"
gehends sind sie in Abhängigkeit von derselben geschildert. — »°
unvergleichlicher Herrlichkeit ist der gramverzehrte Jeremias; ode
Joel, den beim Lesen die stärkste innere Erregung ergreift; der m
angelo's) ist die Belebung Adams. Von einer Heerschaar jener gött-
lichen Einzelkräfte, tragenden und getragenen, umschwebt, nähert sich
der Allmächtige der Erde und lässt aus seinem Zeigefinger den Fun-
ken seines Lebens in den Zeigefinger des schon halb belebten ersten
Mensehen hinüberströmen. Es giebt im ganzen Bereiche der Kunst
kein Beispiel mehr von so genialer Übertragung des Übersinnlichen
in einen völlig klaren und sprechenden sinnlichen Moment. Auch die
Gestait des Adam ist das würdigste Urbild der Menschheit.
Die ganze spätere Kunst hat sich von dieser Auffassung Gottes
des Vaters beherrscht gefühlt, ohne sie doch erreichen zu können.
Am tiefsten ist Bafael (in den ersten Bildern der Loggien) darauf
eingegangen.
Die nun folgenden Scenen aus dem Leben der ersten Menschen
erscheinen' um so gewaltiger, • je einfacher sie die uranfängliche Exi-
stenz darstellen. „Sündenfall und Strafe" sind mit ergreifender Gleich-
zeitigkeit auf Einem Bilde vereinigt; die Eva im Sündenfall zeigt,
welche unendliche Schönheit dem Meister zu Gebote stand. Als Com-
position von wenigen Figuren steht „Noahs Trunkenheit" auf der
Höhe alles Erreichbaren. Die „Sündfluth" contrastirt zwar nicht glück-
lich mit dem Massstab der übrigen Bilder, ist aber reich an den wun-
derwürdigsten Einzelmotiven.
Die Propheten und Sibyllen, die grössten Gestalten dieses
Baumes, erfordern ein längeres Studium. Sie sind keinesweges alle
mit derjenigen hohen Unbefangenheit gedacht, welche aus einigen der-
selben so überwältigend spricht. Die Aufgabe war: zwölf Wesen
durch den Ausdruck höherer Inspiration über Zeit und Welt in das
Übermenschliche emporzuheben. Die Gewaltigkeit ihrer Bildung allem
genügte nicht; es bedurfte abwechselnder Momente der höchsten gei-
stigen und zugleich äusserlich sichtbaren Art. Vielleicht überstieg
dieses die Kräfte der Kunst. — Die je zwei Genien, welche jeder Ge-
stalt beigegeben sind, stellen nicht etwa die Quelle und Anregung der
Inspiration vor, sondern Diener und Begleiter; sie sollen durch ihre
Gegenwart die Gestalt heben, als eine überirdische bezeichnen; durch"
gehends sind sie in Abhängigkeit von derselben geschildert. — »°
unvergleichlicher Herrlichkeit ist der gramverzehrte Jeremias; ode
Joel, den beim Lesen die stärkste innere Erregung ergreift; der m