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gang Noth gelitten habe. Das Mißtrauen wächst, wenn Abschmtt.
man inne wird, baß der Werth des Vorbildes Livius selbst
am unrechten Orte gesucht wurde, nämlich Z darin, daß er
„eine Lrockcne und blutlose Tradition in Anmirth und Fnlle
„verwandelt" habe; ja man findet (eben da) das bedenk-
liche Geständniß, die Geschichtschreibung müsse durch Styl-
mittel den Leser ausregen, reizen, erschüttern, — gerade als
ob fie die Stelle der Poesie vertreten konnte. Man frägt
sich endlich, ob nicht die Verachtung der modernen Dinge,
zu welcher diese nämlichen Humanisten sich bisweilen ^) offen
bekennen, auf ihre Behandlung derselben einen ungünstigen
Einfluß haben mußte? Nnwillkürlich wendet der Leser
den anspruchlosen lateinischen und italienischen Annalisten,
die der alten Art treu geblieben, z. B. denjenigen von Bo-
logna und Ferrara, mehr Theilnahme und Vertrauen zu,
und noch viel dankbarer fühlt man sich den besten unter
den italienisch schreibenden eigentlichen Chronisten verpflichtet,
einem Marin Sanudo, einem Corio, einem Jnfessura, bis
dann mit dem Anfang des XVI. Jahrhunderts die neue
glanzvolle Reihe der großen italienischen Geschichtschreiber
in der Muttersprache beginnt.
Jn der That war die Zeitgeschichte unwidersprechlich Absolutcr
besser daran wenn sie sich in der Landessprache erging, als des La-
wenn sie sich latinisiren mußte. Ob auch für die Erzählung
des Längstvergangenen, für die geschichtliche Forschung das
Jtalienische geeigneter gewesen wäre, ist eine Frage, welche
für jene ZeiL verschiedene Antworten zuläßt. Das Latei-
nische war damals die Lingua franca der Gelehrten lange
Ltzneäwtus: OLroN VIII. Ni8t., bei Dtztzarä, ^erlxtt. II^ 6o1.1577.
Petrus CrmiLus beklagt diese Verachtung, äe Uoo68tN. äi8tzix1.
D. XVIII) tzan- 9. Die Humanisten gleichen hierin den Autoren
des spätern Alterthums, wclche ebenfaüs ihrer Zeit aus dem Wege
gingen. — Vgl. Burckhardt, die Zeit Conftantin's d. Gr. S. 285
u. f.