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Barocksculptur.
Zeitaltern und die Möglichkeit schöner und erhabener Behandlung
zugegeben, fragt es sich nur, weshalb sie uns bei den Berninesken
so ganz besonders ungeniessbar erscheint ?
Diese Gedankenwesen, geboren von der Abstraction, haben eben
ein zartes Leben. Selber Prädicate, sind sie wesentlich prädicatlos
und vollends thatlos. Der Künstler darf sie zwar als Individuen
darstellen, welche dasjenige empfinden, was sie vorstellen, allein er
muss diese Empfindung nur wie einen Klang durch die ruhige Ge-
stalt hindurchtönen lassen. Statt dessen zieht die Barocksculptur
sie unbedenklich in das momentane Thun und in einen Affect hinein,
der sich durch die heftigsten Bewegungen und Geberden zu äussern
pflegt. Nun ist es schon an und für sich nichts Schönes um Ideal-
figuren dieses Stiles; wenn sie aber auffahren, springen, einander an
den Kleidern zerren, auf einander losschlagen, so wirkt dies unfehl-
bar lächerlich. Alles Handeln und zumal alles gemeinschaftliche
Handeln ist den allegorischen Gestalten untersagt; die Kunst muss
sich zufrieden geben, wenn sie ihnen nur ein wahres Sein ver-
leihen kann.
Gleichzeitig mit Bernini dichtete Calderon seine Autos sagra-
mentales, wo fast lauter allegorische Personen handeln, und welche
doch den Leser (um nicht zu viel zu sagen) ergreifen. Aber der
Leser steht dabei unter der Rückwirkung desjenigen starken spani-
schen Glaubens und derjenigen alten Gewöhnung an die Allegorie,
welche schon dem grossen Dichter entgegenkam und ihm die zweifel-
lose Sicherheit gab, deren er in dieser Gattung bedurfte, und die
uns für den Augenblick völlig mitreisst, während wir bei den Berni-
nesken das ästhetische Belieben, die Wählerei recht wohl ahnen.
Sodann sind es Dramen, d. h. Reihen fortschreitender Handlungen,
nicht einzelne in den Marmor gebannte Momente. Endlich steht es
der Phantasie des Lesers frei, die allegorischen Personen des Dich-
ters mit der edelsten Form zu bekleiden, während die Sculptur dem
Beschauer aufdringt, was sie vorräthig hat. — Ebenso empfindet man
bei Rubens meist eine ähnliche, zum Glauben zwingende Gewalt der
Allegorie wie bei Calderon.
Welcher Art die Handlungen der allegorischen Gruppen bisweilen
sind, ist am glorreichsten zu belegen mit den Gruppen von Legros
und Teudon links und rechts von dem Ignatiusaltar im Gesü zu
Rom: die Religion stürzt die Ketzerei, und der Glaube stürzt die
Abgötterei; die besiegte Partei ist jedesmal durch zwei Personen
repräsentirt. Was an dieser Stelle erlaubt war, galt dann weit und
breit als classisch und fand Nachahmer in Menge. Einem besonders
komischen Uebelstand unterliegen dabei die weiblichenAllegorien
des Bösen. Aus Neigung zum Begreiflichen bildete man sie als
hässliche Weiber, und zwar, wie sich bei den Berninesken von selbst
Barocksculptur.
Zeitaltern und die Möglichkeit schöner und erhabener Behandlung
zugegeben, fragt es sich nur, weshalb sie uns bei den Berninesken
so ganz besonders ungeniessbar erscheint ?
Diese Gedankenwesen, geboren von der Abstraction, haben eben
ein zartes Leben. Selber Prädicate, sind sie wesentlich prädicatlos
und vollends thatlos. Der Künstler darf sie zwar als Individuen
darstellen, welche dasjenige empfinden, was sie vorstellen, allein er
muss diese Empfindung nur wie einen Klang durch die ruhige Ge-
stalt hindurchtönen lassen. Statt dessen zieht die Barocksculptur
sie unbedenklich in das momentane Thun und in einen Affect hinein,
der sich durch die heftigsten Bewegungen und Geberden zu äussern
pflegt. Nun ist es schon an und für sich nichts Schönes um Ideal-
figuren dieses Stiles; wenn sie aber auffahren, springen, einander an
den Kleidern zerren, auf einander losschlagen, so wirkt dies unfehl-
bar lächerlich. Alles Handeln und zumal alles gemeinschaftliche
Handeln ist den allegorischen Gestalten untersagt; die Kunst muss
sich zufrieden geben, wenn sie ihnen nur ein wahres Sein ver-
leihen kann.
Gleichzeitig mit Bernini dichtete Calderon seine Autos sagra-
mentales, wo fast lauter allegorische Personen handeln, und welche
doch den Leser (um nicht zu viel zu sagen) ergreifen. Aber der
Leser steht dabei unter der Rückwirkung desjenigen starken spani-
schen Glaubens und derjenigen alten Gewöhnung an die Allegorie,
welche schon dem grossen Dichter entgegenkam und ihm die zweifel-
lose Sicherheit gab, deren er in dieser Gattung bedurfte, und die
uns für den Augenblick völlig mitreisst, während wir bei den Berni-
nesken das ästhetische Belieben, die Wählerei recht wohl ahnen.
Sodann sind es Dramen, d. h. Reihen fortschreitender Handlungen,
nicht einzelne in den Marmor gebannte Momente. Endlich steht es
der Phantasie des Lesers frei, die allegorischen Personen des Dich-
ters mit der edelsten Form zu bekleiden, während die Sculptur dem
Beschauer aufdringt, was sie vorräthig hat. — Ebenso empfindet man
bei Rubens meist eine ähnliche, zum Glauben zwingende Gewalt der
Allegorie wie bei Calderon.
Welcher Art die Handlungen der allegorischen Gruppen bisweilen
sind, ist am glorreichsten zu belegen mit den Gruppen von Legros
und Teudon links und rechts von dem Ignatiusaltar im Gesü zu
Rom: die Religion stürzt die Ketzerei, und der Glaube stürzt die
Abgötterei; die besiegte Partei ist jedesmal durch zwei Personen
repräsentirt. Was an dieser Stelle erlaubt war, galt dann weit und
breit als classisch und fand Nachahmer in Menge. Einem besonders
komischen Uebelstand unterliegen dabei die weiblichenAllegorien
des Bösen. Aus Neigung zum Begreiflichen bildete man sie als
hässliche Weiber, und zwar, wie sich bei den Berninesken von selbst