Rafael: Die Loggien des Vatiean.
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er seine Arbeit zu berechnen hatte, erlaubte ihm beinahe so viel,
als das Fresco. Er scheint mit einer ruhigen, gleichmässigen Wonne
gearbeitet zu haben. Das reinste Liniengefühl verbindet sich mit der
tiefsten geistigen Fassung des Momentes. Wie sanft und eindringlich
ist in dem Bilde „Weide meine Schafe!" die Macht des verklärten
Christus ohne alle Glorie ausgedrückt, indem die Gruppe der Apostel,
je näher bei ihm, desto mehr zu ihm hingezogen wird; die hintersten
stehen noch ruhig, während Petrus schon kniet. Die Heilung des
Lahmen im Tempel — einer jener Gegenstände, welche in spätem
Bildern durch Ueberladung mit gedrängten Köpfen pflegen erdrückt
zu werden — ist hier durch die architektonische Scheidung und durch
erhabenen Stil in die schönste Ruhe gebracht. Pauli Bekehrung ist
(hier ohne Lichteffect) auf die einzige würdige Weise geschildert,
während die meisten andern Darsteller ihre Virtuosität in einem
rechten Getümmel zu zeigen suchen. Das Gegenstück bildet die Stei-
nigung des Stephanus. Die Blendung des Zauberers Elymas (leider
zur Hälfte verloren) und die Strafe des Ananias. sind die höchsten
Vorbilder für die Darstellung feierlich-schrecklicher Wunder; das Dä-
monische hat ruhige Gruppen zum Hintergrunde. Wiederum gehören
zusammen: Pauli Predigt in Athen und die Scene in Lystra, beide
von unermesslichem Einfluss auf die spätere Kunst, so dass z. B. der
ganze Stil Poussins ohne sie nicht vorhanden wäre. Das eine ein
Bild des reichsten Seelenausdruckes, der sich der mächtigen Profil-
gestalt des Apostels doch vollkommen unterordnet; das andere eine
der schönsten bewegten Volksgruppen, so um den Opferstier geordnet,
dass dieser mit seiner Wendung sie unterbricht und doch nichts ver-
deckt; man empfindet, dass der Apostel ob diesem Auftreten der
Masse vor Leid ausser Fassung gerathen muss. — Endlich der Fisch-
zug Petri, ein Bild des geheimnissvollsten Zaubers; der Moment der
physischen Anstrengung (in welchen beiden Gestalten!) ist in die
zweite Barke verwiesen, in der vordem kniet Petrus schon vor dem
sitzenden Christus, und der Beschauer wird nicht durch den Anblick
der Fische gestört, über welchen man in andern Bildern den Haupt-
gegenstand, nämlich den Ausdruck der vollen Hingebung und Ueber-
zeugung des Apostels, vergessen muss. — Erst 1869 ist noch ein elfter
zugehöriger Teppich im Vatiean wieder aufgefunden, die Krönung
der Maria darstellend.
Die zweite Reihe der Tapeten, schon in der Technik geringer,
ist in Flandern als ein Geschenk Franz' I. für den päpstlichen Hof
gewirkt worden. Es scheint, dass niederländische Künstler aus kleinen
Entwürfen Rafaels und seiner Schüler grosse Cartons machten, welche
diesen Tapeten zu Grunde gelegt wurden. Mehrere Compositionen,
vorzüglich die grandiose Anbetung der Hirten, auch die der Könige,
der Kindermord, die Auferstehung, zeigen trotz zahlreicher nieder-
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er seine Arbeit zu berechnen hatte, erlaubte ihm beinahe so viel,
als das Fresco. Er scheint mit einer ruhigen, gleichmässigen Wonne
gearbeitet zu haben. Das reinste Liniengefühl verbindet sich mit der
tiefsten geistigen Fassung des Momentes. Wie sanft und eindringlich
ist in dem Bilde „Weide meine Schafe!" die Macht des verklärten
Christus ohne alle Glorie ausgedrückt, indem die Gruppe der Apostel,
je näher bei ihm, desto mehr zu ihm hingezogen wird; die hintersten
stehen noch ruhig, während Petrus schon kniet. Die Heilung des
Lahmen im Tempel — einer jener Gegenstände, welche in spätem
Bildern durch Ueberladung mit gedrängten Köpfen pflegen erdrückt
zu werden — ist hier durch die architektonische Scheidung und durch
erhabenen Stil in die schönste Ruhe gebracht. Pauli Bekehrung ist
(hier ohne Lichteffect) auf die einzige würdige Weise geschildert,
während die meisten andern Darsteller ihre Virtuosität in einem
rechten Getümmel zu zeigen suchen. Das Gegenstück bildet die Stei-
nigung des Stephanus. Die Blendung des Zauberers Elymas (leider
zur Hälfte verloren) und die Strafe des Ananias. sind die höchsten
Vorbilder für die Darstellung feierlich-schrecklicher Wunder; das Dä-
monische hat ruhige Gruppen zum Hintergrunde. Wiederum gehören
zusammen: Pauli Predigt in Athen und die Scene in Lystra, beide
von unermesslichem Einfluss auf die spätere Kunst, so dass z. B. der
ganze Stil Poussins ohne sie nicht vorhanden wäre. Das eine ein
Bild des reichsten Seelenausdruckes, der sich der mächtigen Profil-
gestalt des Apostels doch vollkommen unterordnet; das andere eine
der schönsten bewegten Volksgruppen, so um den Opferstier geordnet,
dass dieser mit seiner Wendung sie unterbricht und doch nichts ver-
deckt; man empfindet, dass der Apostel ob diesem Auftreten der
Masse vor Leid ausser Fassung gerathen muss. — Endlich der Fisch-
zug Petri, ein Bild des geheimnissvollsten Zaubers; der Moment der
physischen Anstrengung (in welchen beiden Gestalten!) ist in die
zweite Barke verwiesen, in der vordem kniet Petrus schon vor dem
sitzenden Christus, und der Beschauer wird nicht durch den Anblick
der Fische gestört, über welchen man in andern Bildern den Haupt-
gegenstand, nämlich den Ausdruck der vollen Hingebung und Ueber-
zeugung des Apostels, vergessen muss. — Erst 1869 ist noch ein elfter
zugehöriger Teppich im Vatiean wieder aufgefunden, die Krönung
der Maria darstellend.
Die zweite Reihe der Tapeten, schon in der Technik geringer,
ist in Flandern als ein Geschenk Franz' I. für den päpstlichen Hof
gewirkt worden. Es scheint, dass niederländische Künstler aus kleinen
Entwürfen Rafaels und seiner Schüler grosse Cartons machten, welche
diesen Tapeten zu Grunde gelegt wurden. Mehrere Compositionen,
vorzüglich die grandiose Anbetung der Hirten, auch die der Könige,
der Kindermord, die Auferstehung, zeigen trotz zahlreicher nieder-