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Carrière, Moriz
Die Kunst im Zusammenhang der Culturentwickelung und die Ideale der Menschheit: [ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes] (Band 2): Hellas und Rom in Religion und Weisheit, Dichtung und Kunst: ein Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes — Leipzig, 1872

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https://doi.org/10.11588/diglit.33535#0024
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Hellas.

Ja noch anderen Ruhm, strahlenden Ruhm weiß ich der Heimat,
Wol ein Ehrengeschenk, das ihr der meerherrschende Gott liebend ver-
gehn hat,
Den Preis des Reichthnms, der Ross' und Seefahrt!
O Kronos' Sohn, wir sind von dir
So hoch verherrlichet, Fürst Poseidon,
Der dem muthigen Roß lenkende Zügel
Du angelegt hast auf diesen Straßen.
Und o Wunder zu schaun, dein in die Wogen
Kühn geschwungenes Ruder blinkt, und ihm tanzt Nereidenschar hundert-
fnßigen Reigen.

Wohl dürfen wir uns diesen Sophokleischen Chorgesang als
einen freudigen Gruß zurnfen, wenn wir ans unserer Wanderung
nach den Denkmalen der Schönheit den hellenischen Boden be-
treten. Da empfängt uns kein weitausgedehntes gleichmäßiges
Stromgebiet, das dem Volk zur Bedingung eines eintönigen ge-
meinsamen Lebens wird, sondern im Gegensätze des vielgliederigen
Landes und des eindringenden umspülenden Meeres, der gebirg-
nmgürteten Binnenräume und der allwärts offenen Küsten und
Inseln zeigt sich eine Mannichfaltigkeit, die das Beharren des
festen Erdkernes neben die Beweglichkeit der Welle, die rauhe
Höhe neben das fruchtbare Thal und das milde Gestade in raschem
Wechsel setzt, und die zugleich innerhalb einiger Breitegrade eine
größere Verschiedenheit des Klimas bietet als irgendeine andere
Gegend; der Norden hat Buchenwälder und winterliche Schnee-
stürme, die Mitte schmückt sich mit immer grünen Bäumen, und
im Süden wiegt sich die Palme in reinem Aether und duften die
Orangen- und Citronenhaine; dort weidet der Hirt der Alpen,
hier erntet der Landmann den Weizen, den Wein und das Oel
der Oliven. Die Natur fordert und lohnt die Arbeit und den
anstauschenden Verkehr der Menschen. Halbinsel ragt neben Halb-
insel an der Ostküste ins Meer, und von einem Eiland erblickt
der Schiffer das andere, bis er den Saum Kleinasiens erreicht und
dort wieder ähnliche Verhältnisse wie in der Heimat findet. Gleich
den Inseln sind die Landschaften von Hellas in sich abgeschlossen
und von eigenthümlichem Gepräge, und doch wieder zugänglich;
der Natur folgend löst sich das Volk in Stämme, in (Baugenossen-
schaften ans, in denen für sich der Trieb nach selbständiger Lebens-
führung waltet; sie einigen sich zur Gemeinde, zur Stadt, und
finden darin ihr Genüge, vertheidigen darin ihre Freiheit; und
 
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