H. Mackowsky: Das schöne Buch
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messen, der mehr als einmal in dem legendären Sande
zu verlaufen drohte. Es gibt weite Zeitstrecken, in
denen es wie vom Boden verschwunden scheint^dann
taucht es wieder auf, anspruchsvoll und ungefüge im
Format, um bald aufs neue zu verkümmern. Geschmack
und Freude daran sind erst spät rege geworden, und
lange hat es gedauert, bis das schöne Buch aus einem
stolzen und hoffärtigen Fürstengünstling eine Art lite-
rarischen Kammerzöfchens des auf höhere Bildung be-
dachten Bürgertums geworden ist, um schließlich aus
Nähkorb oder Pompadour auf den Tisch der guten
Stube zu geraten, wo es dann weniger gelesen als ge-
sehen werden sollte.
Es ist in seinen Anfängen wie in seiner Blütezeit
Importware und damit wiederum ein Beispiel und ein
Beweis des kolonialen Charakters unserer Stadtkultur.
Süddeutschland, die Schweiz und besonders Frankreich
geben wie die Vorbilder, so auch die Kräfte her, die
es zustande bringen. Aber die Berliner Luft bewährt
auch an dieser Importware ihre assimilierende Fähig-
keit. In ihrer Trockenheit verflüchtigen sich die lau-
nischen, spielerischen Elemente der fremden Produktion;
dafür verleiht sie ihren Erzeugnissen eine ernste Solidität,
eine von Pedanterie gestreifte Tüchtigkeit, die mit ihrem
ehrlichen Handwerkseifer original erscheinen läßt, was
im Grunde doch entlehnt war. —
Als Johann Tritheim, der Schüler von Celtis und
Reuchlin, zum Kurfürsten Joachim I. für kurze Zeit nach
Berlin kam, schrieb er von da aus am 20. Oktober 1505:
„Rarus hic homo Studio deditus scripturarum.“ Und
wirklich, wenn man an das geistige Leben im nahen
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messen, der mehr als einmal in dem legendären Sande
zu verlaufen drohte. Es gibt weite Zeitstrecken, in
denen es wie vom Boden verschwunden scheint^dann
taucht es wieder auf, anspruchsvoll und ungefüge im
Format, um bald aufs neue zu verkümmern. Geschmack
und Freude daran sind erst spät rege geworden, und
lange hat es gedauert, bis das schöne Buch aus einem
stolzen und hoffärtigen Fürstengünstling eine Art lite-
rarischen Kammerzöfchens des auf höhere Bildung be-
dachten Bürgertums geworden ist, um schließlich aus
Nähkorb oder Pompadour auf den Tisch der guten
Stube zu geraten, wo es dann weniger gelesen als ge-
sehen werden sollte.
Es ist in seinen Anfängen wie in seiner Blütezeit
Importware und damit wiederum ein Beispiel und ein
Beweis des kolonialen Charakters unserer Stadtkultur.
Süddeutschland, die Schweiz und besonders Frankreich
geben wie die Vorbilder, so auch die Kräfte her, die
es zustande bringen. Aber die Berliner Luft bewährt
auch an dieser Importware ihre assimilierende Fähig-
keit. In ihrer Trockenheit verflüchtigen sich die lau-
nischen, spielerischen Elemente der fremden Produktion;
dafür verleiht sie ihren Erzeugnissen eine ernste Solidität,
eine von Pedanterie gestreifte Tüchtigkeit, die mit ihrem
ehrlichen Handwerkseifer original erscheinen läßt, was
im Grunde doch entlehnt war. —
Als Johann Tritheim, der Schüler von Celtis und
Reuchlin, zum Kurfürsten Joachim I. für kurze Zeit nach
Berlin kam, schrieb er von da aus am 20. Oktober 1505:
„Rarus hic homo Studio deditus scripturarum.“ Und
wirklich, wenn man an das geistige Leben im nahen
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