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Almanach 1926
erzielt wird, denn wer hebt wohl eine noch so schön ge-
formte Mixed-Pickles-Flasche von Heinz & Co. auf? Ihr
Inhalt gab ihr die Existenzberechtigung; ist er dahin, so
verschwindet auch sie. Dies gilt nicht erst für heute, es
galt in allen Zeiten: die Gebrauchsgegenstände des täg-
lichen Lebens kehren zum Staube zurück, während jene,
die den Stempel künstlerischen Geistes tragen — die Am-
phoren der griechischen Töpfer, die zarten, dünnhalsigen
Flaschen der Perser, die Siegel der Ägypter —, niemals
dem Kehrichthaufen verfallen, mögen sie auch noch so
zerbrechlich sein und einen noch so geringen Material-
wert haben.
Es liegt im Menschen etwas, das ihn zwingt, das Mensch-
liche in der Kunst zu achten: umgeben von den Spiegel-
bildern seines Wesens, lebt er edler als ein Gott. Gerade
die Wut, mit der die Mohammedaner, die Puritaner und
die Freidenker des 18. Jahrhunderts die bildliche Dar-
stellung verfolgten, verriet ihre tiefe Verehrung vor der
Macht der Kunst; denn wir zerstören die Dinge, die unsere
Existenz bedrohen. Die Kunst ist in gewissem Sinne der
geistige Firnis, den wir auf die materiellen Dinge legen,
um sie vor dem Verderben zu schützen: kraß ausgedrückt,
hat die Schönheit Berechtigung, weil sie Ewigkeitswert
hat; Häuser, die von einem schöpferischen Geiste zeugen,
sind unersetzlich, und das bewahrt sie vor dem Schicksal,
schnell und pietätlos ersetzt zu werden. Wrens Kirchen
bleiben erhalten, auch wenn sie außer Gebrauch sind,
weil Wrens Persönlichkeit sie erfüllt. Dieser Vorgang steht
in vollem Gegensatz zu dem maschinellen Betrieb und
erklärt, warum mit der Zeit Maschinenarbeit unzuläng-
lich und unökonomisch ist — sie ist zu bald entwertet.
Almanach 1926
erzielt wird, denn wer hebt wohl eine noch so schön ge-
formte Mixed-Pickles-Flasche von Heinz & Co. auf? Ihr
Inhalt gab ihr die Existenzberechtigung; ist er dahin, so
verschwindet auch sie. Dies gilt nicht erst für heute, es
galt in allen Zeiten: die Gebrauchsgegenstände des täg-
lichen Lebens kehren zum Staube zurück, während jene,
die den Stempel künstlerischen Geistes tragen — die Am-
phoren der griechischen Töpfer, die zarten, dünnhalsigen
Flaschen der Perser, die Siegel der Ägypter —, niemals
dem Kehrichthaufen verfallen, mögen sie auch noch so
zerbrechlich sein und einen noch so geringen Material-
wert haben.
Es liegt im Menschen etwas, das ihn zwingt, das Mensch-
liche in der Kunst zu achten: umgeben von den Spiegel-
bildern seines Wesens, lebt er edler als ein Gott. Gerade
die Wut, mit der die Mohammedaner, die Puritaner und
die Freidenker des 18. Jahrhunderts die bildliche Dar-
stellung verfolgten, verriet ihre tiefe Verehrung vor der
Macht der Kunst; denn wir zerstören die Dinge, die unsere
Existenz bedrohen. Die Kunst ist in gewissem Sinne der
geistige Firnis, den wir auf die materiellen Dinge legen,
um sie vor dem Verderben zu schützen: kraß ausgedrückt,
hat die Schönheit Berechtigung, weil sie Ewigkeitswert
hat; Häuser, die von einem schöpferischen Geiste zeugen,
sind unersetzlich, und das bewahrt sie vor dem Schicksal,
schnell und pietätlos ersetzt zu werden. Wrens Kirchen
bleiben erhalten, auch wenn sie außer Gebrauch sind,
weil Wrens Persönlichkeit sie erfüllt. Dieser Vorgang steht
in vollem Gegensatz zu dem maschinellen Betrieb und
erklärt, warum mit der Zeit Maschinenarbeit unzuläng-
lich und unökonomisch ist — sie ist zu bald entwertet.