Verlag Bruno Cassirer: Almanach: auf das Jahr ... (1926)

A. Vollard: Aus „Degas“ 143
habhaft zu werden. Sie kam mit einer Empfehlung eines
alten Freundes von ihm, eines Herrn de V . . •
„Meister! . .

Renoir: Ich habe gerade jetzt in einem Schaufenster eine
Zeichnung von Degas gesehen, ein einfacher Kohlekontur in
einem Goldrahmen, der alles tot machen müßte. Aber wie sich
das darin hielt! Ich könnte mir keine schönere Zeichnung eines
Malers vorstellen.
Ich: Ich meine, wenn Degas mit Farben arbeitet!
Renoir: Denken Sie nur an seine Pastelle! . . . Wenn man
bedenkt, daß er mit einem Material, das so schwierig zubehandeln
ist, den Ton der Fresken wiedergefunden hat! Als er im Jahre
1885 seine hervorragende Ausstellung bei Durand-Ruel machte,
war ich mitten in meinen Versuchen, Fresken mittels der Öl-
malerei wiederzugeben. Sie können sich denken, wie sprachlos
ich war über das, was ich da vor mir sah.
Ich: Ja, aber ich wollte gerade von dem Ölmaler Degas . . .
Aber Renoir brach ab: „Nun sehen Sie bloß, Vollard!“
Wir waren beim Opernplatz angelangt. Er deutete auf den
„Tanz“ von Carpeaux:
Aber das ist doch in tadellosem Zustand! Wer hatte mir nur
gesagt, daß diese Gruppe vollkommen verfalle? Glauben Sie nicht
etwa, daß ich Carpeaux Böses wünsche; aber es ist mir angenehm,
wenn jedes Ding seinen richtigen Platz hat. Mögen sie doch
diesem Bildwerk alle nur denkbare Sorgfalt und Ehrerbietung
angedeihen lassen, ich habe nichts dagegen einzuwenden, aber
nur unter der Bedingung, daß man diese betrunkenen Weiber
irgendwo anders hinbringt. . . Der Tanz, der in der Oper kul-
tiviert wird, hat eine Tradition, er hat eine ganz bestimmte
Vornehmheit, er ist kein Kankan . . . Und man hat das Glück, in
einer Zeit zu leben, in der es einen Bildhauer gibt, der es mit
den Alten aufnehmen kann . . .
Ich: Aber Rodin hat doch seinen Auftrag bekommen: den
„Denker“! Und den „Victor Hugo“? Und das „Höllentor“?, . .
Renoir: Spreche ich denn von Rodin? Ich sagte der erste
Bildhauer. Und das ist Degas! Ich habe ein Halbrelief von ihm