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Almanach 1926

die Wiedergabe der Wirklichkeit als künstlerische Auf-
gabe ad absurdum geführt hätte. Es fehlte diesen Werken
nicht allein an der hohen Intuition ihrer Schöpfer, sondern
auch die glühenden Farben des Pinsels, die in richtiger
Verwendung wohl geeignet gewesen wären, die Phantasie
des Beschauers zu beschwingen.
In einer Zeit, die Themen religiös-philosophischen
Inhaltes künstlerisch zur Darstellung brachte, stand
vollends das Porträt als Sujet in besonders geringem An-
sehen, und es konnte nur einen Heiterkeitserfolg ernten,
wer damals sich erhoben und behauptet hätte: „Das Porträt
ist der Parademarsch des Künstlers.“ Hingegen erschien
das Porträtmalen jener Kunstwelt nur berufen, zum Leben
die notwendigsten Mittel zu beschaffen, und es wäre
vielleicht ganz unterblieben, wenn man über die Technik
des Photographierens verfügt hätte. Wer dieses Metier
aber vorwiegend ausübte, verzichtete im vorhinein uf
den Lorbeer des Genies.
Indessen vermochten die Biedermeiermenschen nicht
um der erhabenen künstlerischen Ziele ihrer Zeit willen
die Maler mit Porträtaufträgen zu verschonen. War doch
gerade das Familienleben vor Erfindung des modernen
Verkehrs von einer Innigkeit, an die wir heute nur mit
Wehmut zu denken vermögen. In der guten Stube blieb
der Platz über dem Sofa jedweder Biedermeierbehausung
den Porträts der Eltern und Großeltern vorbehalten, denen
man zur Pflege der Familientradition die eigenen und
die der Kinder hinzufügte. So blühte zu Krügers Zeiten
neben der Kunst, die damals als die „große“ erkannt
wurde, ganz im stillen eine anspruchslose Porträtmalerei,
die so recht ein warmes Zeugnis ist für die reiche
 
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