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William Cohn: Über javanische und indische Kunst

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zwar spröde, auf den ersten Blick schwer zu fassen, und
erscheint oft absonderlich, aber ursprüngliche Kraft und
unbändige Phantasie erheben sie in höchste Regionen.
Immer wieder verfällt der westliche Mensch bei der Be-
urteilung außereuropäischer Kunst in den Fehler, das am
meisten zu bewundern, was dem altgewohnten Schön-
heitskanon am ehesten entspricht. Zu einem gerechten
Urteil und zu wirklichem Verständnis wird nur der ge-
langen, der Javas Kunst und Kultur in die gesamtindische
Entwicklung einordnet. Dann ergibt es sich, daß die mit-
teljavanische Kunst der festländischen auf das tiefste ver-
pflichtetist, und daß sie nur eine Art klassizistischer Nach-
blüte der indischen Kunst des 4. bis 7. Jahrhunderts, das
ist der Guptaperiode, bedeutet. Indische Geistigkeit ist
vereinfacht und geklärt, indischer Überschwang gedämpft
und in schlichte wohlklingende Rhythmik gebracht. Aber
das große Vorbild blieb unerreicht.
Eine solche Betrachtungsweise zerstört jedoch nicht
nur alte Wertungen, sie macht den Weg frei für neue
Erkenntnisse. Muß man die Schätzung der mitteljavani-
schen Kunst ein wenig eindämmen, so steigt die der ost-
javanischen (seit dem 13. Jahrhundert.), die bisher
vernachlässigt wurde. Hier scheint javanischer Geist sich
selbst gefunden zu haben. Hier ist, ohne daß die indische
Grundlage sich verleugnet, eine neue starke Kunstsprache
erstanden. Die Architektur überrascht mit eigenwilligen
Lösungen, und in der Plastik haben wir eine Ausdrucks-
kunst von bezwingender Intensität. Der Stil des einzigar-
tigen javanischen Schattenspieles wird aus diesen Quellen
gespeist, und die Kunst von Bali ist nur ein Nachklang
dieser letzten Kunstblüte der paradiesischen Insel. Das
 
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