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Almanach 1926
des Achtzigjährigen, die jugendliche Elastizität, mit der
er sich nach der umständlichen Suche vom Pferde schwang.
Das ist ein alter Kavallerist, ein Gutsherr, ein Aristokrat,
der alle Privilegien abgeworfen hat, der das letzte Unrecht
des Eigentums noch vor dem Tode von sich tun will, um
endlich Bauer, Volk, Christ zu werden ... Der alte Tolstoj
reitet durch das Nadelöhr zu seinem Gott, der ihn so oft
gerufen und sich ihm immer wieder entzogen hat. Tolstoj
hat viele Bücher geschrieben, aber sein Wesen ist die Tat,
und er sucht mit seinem Gott, vor- dem er sich täglich
wegen seines bequemen, bevorrechteten Lebens zu ent-
schuldigen hat, eine mündliche, direkte persönliche Aus-
einandersetzung. Ein Schriftsteller, der betet, der sein
Leben lang zu beten versucht hat, wie nur das Volk es
kann, einfältig und des Schreibens unkundig! Das hat
nichts mit der literarischen Pflege der einst so beliebten
religiösen Renaissance zu tun; um diesen russischen
Schriftsteller, der alle Philosophen von Plato bis Schopen-
hauer studiert hat, ist am Ende eine Primitivität und
Naivität, die ein Westeuropäer, also ein Europäer, durch
keine literarische Bemühung erreichen konnte.
Nachdem er sich jahrzehntelang mit Fluchtplänen ge-
tragen, nachdem er mehrere Male-den Abschiedsbrief ge-
schrieben und wieder in seinem Schreibtisch verschlossen
hat, entweicht der alte Mann vor seiner Frau, die seinen
Gedanken nicht folgen kann, vor den Kindern, die sich
ihm widersetzen. Das ist an einem dunklen Morgen wieder
ein etwas indianerhaftes Unternehmen, als ob dieser Guts-
herr, der Bauer wurde und Pilger werden will, nichts
mehr auf bürgerliche. Weise Anfängen könnte. Wenn
Tolstoj nach vielen Auseinandersetzungen, die auch in
Almanach 1926
des Achtzigjährigen, die jugendliche Elastizität, mit der
er sich nach der umständlichen Suche vom Pferde schwang.
Das ist ein alter Kavallerist, ein Gutsherr, ein Aristokrat,
der alle Privilegien abgeworfen hat, der das letzte Unrecht
des Eigentums noch vor dem Tode von sich tun will, um
endlich Bauer, Volk, Christ zu werden ... Der alte Tolstoj
reitet durch das Nadelöhr zu seinem Gott, der ihn so oft
gerufen und sich ihm immer wieder entzogen hat. Tolstoj
hat viele Bücher geschrieben, aber sein Wesen ist die Tat,
und er sucht mit seinem Gott, vor- dem er sich täglich
wegen seines bequemen, bevorrechteten Lebens zu ent-
schuldigen hat, eine mündliche, direkte persönliche Aus-
einandersetzung. Ein Schriftsteller, der betet, der sein
Leben lang zu beten versucht hat, wie nur das Volk es
kann, einfältig und des Schreibens unkundig! Das hat
nichts mit der literarischen Pflege der einst so beliebten
religiösen Renaissance zu tun; um diesen russischen
Schriftsteller, der alle Philosophen von Plato bis Schopen-
hauer studiert hat, ist am Ende eine Primitivität und
Naivität, die ein Westeuropäer, also ein Europäer, durch
keine literarische Bemühung erreichen konnte.
Nachdem er sich jahrzehntelang mit Fluchtplänen ge-
tragen, nachdem er mehrere Male-den Abschiedsbrief ge-
schrieben und wieder in seinem Schreibtisch verschlossen
hat, entweicht der alte Mann vor seiner Frau, die seinen
Gedanken nicht folgen kann, vor den Kindern, die sich
ihm widersetzen. Das ist an einem dunklen Morgen wieder
ein etwas indianerhaftes Unternehmen, als ob dieser Guts-
herr, der Bauer wurde und Pilger werden will, nichts
mehr auf bürgerliche. Weise Anfängen könnte. Wenn
Tolstoj nach vielen Auseinandersetzungen, die auch in