Karl Scheffler: Romantik
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schon in einem wohlgegriindeten Bürgerhaus geboren
und groß geworden, ihnen war bürgerliches Selbstgefühl
bereits natürlich und sie konnten sich darum weniger
streng geben. Was bei den Vätern Grundsätzlichkeit ge-
wesen war, äußerte sich in den Söhnen als Temperament.
Die Väter wollten die Freiheit, die Söhne hatten sie bereits
zum guten Teil. Die Söhne erscheinen phantasievoller.
Und es erscheint darum auch die Kunst, die von den
Vätern, sowohl den Stoffen wie den Formen nach, sittlich
bedeutend genommen war, phantasiereicher, tempera-
mentvoller und unbefangener.
Die Kunst dieser Zeit ist mit dem Wort Romantik
bezeichnet worden. Das Wort ist unbestimmt, jeder ver-
steht etwas anderes darunter. Dennoch ist es in einer
geschichtlichen Betrachtung ratsam, das Wort anzu-
nehmen; man kommt damit aus, wenn man tiefere
Bedeutung nicht darin sucht, sondern sie hineinlegt.
Um damit zu beginnen, tut man gut, als „romantisch“
nicht nur einige um 1830 entstandene Kunstwerke zu
bezeichnen, sondern die ganze Kunst zwischen Gericault
und Courbet. Und nicht nur die Kunst dieser Zeitspanne
darf romantisch genannt werden. Das Geschlecht, das
diese Epoche beherrschte, war romantisch vielmehr in
allen seinen sinnlich-geistigen Äußerungen; romantisch
war die Politik, die Wirtschaft, war das soziale Empfinden
und das ganze Kulturgefühl.
Was ist in diesem umfassenden Sinne Romantik? Was
so bezeichnet wird, ist überall, wo eine Jugend, sei es die
Jugend des Individuums, des Volkes oder des Staatslebens,
eine reiche Zukunft mehr ahnt als erkennt, wo sie der
eigenen Kraft sich bewußt wird, wo es sich gewaltsam
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schon in einem wohlgegriindeten Bürgerhaus geboren
und groß geworden, ihnen war bürgerliches Selbstgefühl
bereits natürlich und sie konnten sich darum weniger
streng geben. Was bei den Vätern Grundsätzlichkeit ge-
wesen war, äußerte sich in den Söhnen als Temperament.
Die Väter wollten die Freiheit, die Söhne hatten sie bereits
zum guten Teil. Die Söhne erscheinen phantasievoller.
Und es erscheint darum auch die Kunst, die von den
Vätern, sowohl den Stoffen wie den Formen nach, sittlich
bedeutend genommen war, phantasiereicher, tempera-
mentvoller und unbefangener.
Die Kunst dieser Zeit ist mit dem Wort Romantik
bezeichnet worden. Das Wort ist unbestimmt, jeder ver-
steht etwas anderes darunter. Dennoch ist es in einer
geschichtlichen Betrachtung ratsam, das Wort anzu-
nehmen; man kommt damit aus, wenn man tiefere
Bedeutung nicht darin sucht, sondern sie hineinlegt.
Um damit zu beginnen, tut man gut, als „romantisch“
nicht nur einige um 1830 entstandene Kunstwerke zu
bezeichnen, sondern die ganze Kunst zwischen Gericault
und Courbet. Und nicht nur die Kunst dieser Zeitspanne
darf romantisch genannt werden. Das Geschlecht, das
diese Epoche beherrschte, war romantisch vielmehr in
allen seinen sinnlich-geistigen Äußerungen; romantisch
war die Politik, die Wirtschaft, war das soziale Empfinden
und das ganze Kulturgefühl.
Was ist in diesem umfassenden Sinne Romantik? Was
so bezeichnet wird, ist überall, wo eine Jugend, sei es die
Jugend des Individuums, des Volkes oder des Staatslebens,
eine reiche Zukunft mehr ahnt als erkennt, wo sie der
eigenen Kraft sich bewußt wird, wo es sich gewaltsam