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Almanach 1926

in ihr regt, wo sie von Sehnsucht regiert wird und den
Drang hat das ganze Leben ahnungsvoll zu erhöhen. Zur
Romantik gehört ein Sinn für die höhere Bedeutung alles
Lebendigen, es gehört dazu jener Sinn für Größe, der
zum Heroischen führt, wenn er vom Genie, und zur
Theatralik, wenn er von der Mittelmäßigkeit bedient
wird. Die Romantik sucht tiefe und weite Hintergründe,
die Ferne, die schöne Unendlichkeit. Ihren Anhängern
ist der Sinn für Pathos eigen und eine edle Unzufrieden-
heit mit der Gegenwart. Aus Erinnerungen und Hoff-
nungen wird ein Wunschgebäude errichtet. Wie alle
Wünschenden, lieben Romantiker die Dunkelheiten, sie
lieben das Erhabene und Schreckliche, das Schicksalhafte
und das, was Stimmung genannt wird, sie suchen die
schöne Sensation. Romantik in einem tieferen geschicht-
lichen Sinne ist keineswegs dasselbe wie Phantastik; das
Wort bezeichnet einen normalen Zustand sowohl des In-
dividuums wie der Gemeinschaft. Das Leiden am Leben,
das alle Jugend fühlt, dieses Leiden voller Hoffnung und
Willen, das von der Jugend so gern besungen wird: das
ist Romantik. Vorstellungen von allbelebenden Kräften
des Universums: das ist die Religion der Romantik. Und
fragt man den Romantiker was das Schöne sei, so ant-
wortet er mit Ibsens Dina: „Schön ist etwas, das groß
ist — und weit weg.“ Das Wort Gehalt, als Forderung des
Künstlers, ist eine Erfindung der Romantik. Sie ist über-
all dort, wo Kontraste gewaltsam erhöht und übersteigert
werden.
Um 1830 öffneten sich alle Formen des öffentlichen
Lebens. Bezeichnend ist, daß zu dieser Zeit der Liberalis-
mus heraufkam. Mit ihm wurde die Konstitution zur
 
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