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angliedern müssen. Man beruft sich fortwährend auf die Natur mit der
Absicht, dem Volke die unsichtbare religiöse Welt zu versinnlichen.
Die Kirche hat diesem Ziel schon länge nachgestrebt. Berühmte Pre-
diger haben religiöse Begriffe so dargestellt, dass man sie mit den Sin-
nen erfassen konnte. Der hl. Franz von Assisi hat die religiöse Bildlich-
keit in hohem Grade dichterisch umschrieben und gedeutet; der hl.
Bernhardin von Siena, der in seinen Ausdrücken und Vergleichen
häufig sehr irdisch ist, hat Himmel und Hölle so deutlich beschrieben,
als wenn er dort gewesen wäre und gesehen hätte, wie die Engel im
Chor singen und die Teufel die Menschen in den Höllenpfuhl hinein-
stossen. All diese Vergleiche und Beschreibungen haben den Geist
gewissermassen materialisiert, aber sie waren nicht subtil genug, um
die Masse zu durchdringen. Erst die Jesuiten haben die schwierige Auf-
gabe unternommen, die menschliche Phantasie systematisch so zu ge-
stalten, dass sie sich die abstraktesten Vorstellungen verkörpern könne,
und man darf sagen, dass die Gruppe der hl. Teresa das Ideal dieser
Richtung in der Kunst verkörpert. Es bedurfte des Talentes eines Ber-
nini, um nicht in Übertreibung zu verfallen. „Naturalezza“ mit einem
von vornherein festgelegten Ziel religiöser Bildung, als Teil religiöser
Pädagogik, „naturalezza“ mit einer Reihe von Einschränkungen bezüg-
lich der Moralität und Wohlanständigkeit des Themas hatte nicht die
Natur zum Vorbild, sondern sie war das Ergebnis einer gewissen Ver-
derbtheit und sprach jedem Realismus in der Kunst Hohn.
Der Kardinal Gabriel Paleotti erliess den strengen Befehl, in den
Kirchen die religiösen Bilder daraufhin zu prüfen, ob sie moralisch
genug seien; falls sie den neuen Forderungen nicht entsprächen,
sollten sie übermalt oder aus der Kirche entfernt werden. Paleottis
Vorschriften erstreckten sich sogar auf Privathäuser und belegten
die Künstler, die unanständige Bilder malten, mit Strafen. Als Kar-
dinal Bellarmino bei einem seiner Bekannten nackte Marmorstatuen
sah, die noch an die „bescheidenen“ Zeiten der Renaissance erinnerten,
bemerkte er scherzend, diese Statuen müssten frieren. Der Besitzer ver-
stand die Bemerkung und liess die Schamteile der Steine mit Gipsver-
bänden versehen. Die spanische Inquisition begnügte sich mit der Kon-
trolle über die Wohlanständigkeit der Bilder nicht, sondern erstreckte
sie auch auf kleine Gegenstände wie Tabakdosen, Spiegel, Fächer und
ernannte Inspektoren der Wohlanständigkeit. Zu diesen gehörte auch
Fr. Pacheco, Velasquez’ Schwiegervater und Lehrer.
 
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