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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Editor]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 16.1919/​1920

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Schlecht, Joseph: Joseph Kiener †
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https://doi.org/10.11588/diglit.55380#0075
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JOSEPH KIENER

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seltenen Weichheit des Gemütes, die ihn mit
der Kinderwelt innerlich verband, paarte er
eine bayerisch männliche Kraft. Seine Bilder
erinnern an die alten deutschen Holzschnitte
und Kupferstiche und bleiben, wie diese, stets
auf dem Boden des Diesseits. So gern er hei-
lige Stoffe behandelte und so tief religiös
ergriffen er selber dabei sein konnte — er
war kein Engelmaler, schuf keine ätherischen
Gestalten, seine Art ist grunddeutsch, seine
Schöpfungen atmen den Erdgeruch der har-
ten oberpfälzischen Scholle.
Zu Schwarzenfeld, wo Graf Holnstein ein
reizendes Rokokoschlößchen besitzt, das jetzt
»restauriert« ist, wurde Joseph Kiener am
21. Juli 1856 als Sohn eines gräflichen Schloß-
und Rentenverwalters geboren und zeigte früh
eine ausgesprochene Neigung zum Zeichnen.
Darum wählte er sich einen Beruf, der ihm
nach seiner kindlichen Meinung die Möglich-
keit bot, es gründlich zu lernen und zu lehren,
er wurde Volksschullehrer und vollendete seine
Ausbildung in den hierfür bestimmten Schulen
zu Regensburg und Eichstätt. Als junger Schul-
gehilfe im Dorfe Pempfling und im Städtchen
Waldmünchen beobachtete er mit seinen schar-
fen,leuchtenden Augen die rotwangigen Büb-
lein und blondbezopften Mädchen in Schule
und Haus, bei Spiel und Arbeit und brachte,
was er der Natur abgelauscht hatte, mit siche-
ren Strichen aufs Papier. Er sah bald, daß
das Zeichnen ihm mehr Freude mache als das
Schulhalten, hängte den Bakel an den Nagel
und ging nach München, um sich zum Zeich-
nungslehrer auszubilden. Die Jahre 1878 — 82
verbrachte er dort an der Kunstgewerbeschule
und an der Technischen Hochschule. Sie waren
nicht nur fruchtbar für seine innere Weiter-
entwicklung, sondern boten auch reiche An-
regung durch den freundschaftlichen Verkehr
mit gleichstrebenden Freunden. Bilder, die er
für die in Donauwörth erscheinenden Familien-
blätter gezeichnet hatte, vermittelten ihm die
Bekanntschaft mit der geistvollen Kinderschrift-
stellerin Emmy Giehrl (Tante Emmy), die
sich in liebevoller Weise des verwaisten jungen
Mannes annahm. So ist Kiener so recht ihr
Illustrator geworden. Für den Kinderkalender,
den Schutzengel, die Märchenbücher und an-
dere Veröffentlichungen schuf er die Illustra-
tionen oder gab selber durch Zeichnungen den
Stoff dafür an. Auf diesem Wege gewann er
zugleich die Mittel, seine Studien an der Mün-
chener Akademie fortzusetzen. Es waren ent-
behrungsreiche Lehrjahre, in denen er sich zu
seinem Berufe durchrang, aufgemuntert durch
den Eifer seiner Studiengenossen Bucher, Sand,
Samberger, Stuck und anderer, mit denen ihn

JOSEPH KIENER BETENDER
Origjnalradieriw,g. — Text S. 60


auch später noch treue Freundschaft verband.
Schließlich siedelte er, vom Auerschen Ver-
lag darum gebeten, nach Donauwörth über,
und die Leiter der dortigen Anstalten und
Redakteure der Zeitschriften gewannen den
ebenso begabten wie bescheidenen jungen
Mann lieb und schätzten ihn als Menschen
ebenso hoch wie als Künstler. Da erfolgte
endlich im Jahre 1889 seine Anstellung als
Zeichnungslehrer am Schullehrerseminar und
am Humanistischen Gymnasium in Eichstätt,
das ihm von seinen Studienjahren her vertraut
war und von nun an die Stätte seines beruf-
lichen Wirkens und künstlerischen Schaffens
wurde. Im Herbst des gleichen Jahres ver-
mählte er sich mit der schönen, gemüt- und
geistvollen Tochter seines Amtsvorgängers,
des Professors Alois Süßmayer, der einst als
Schüler und Genosse Schraudolphs in den Kir-
chen Münchens und in den Domen von Speyer
und Gran gemalt und zuletzt die Kirche in Lud-
wigshafen selbständig mit Fresken geschmückt
hatte. Es war ein idealer, in heiliger Liebe
verankerter Ehebund, den nicht einmal der
Tod zu trennen vermochte. Opfervoll pflegte
 
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