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Deutsche Gesellschaft für Christliche Kunst [Hrsg.]
Die christliche Kunst: Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst u. der Kunstwissenschaft sowie für das gesamte Kunstleben — 21.1924/​1925

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Doering, Oskar: Die internationale Kunstausstellung zu Venedig
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https://doi.org/10.11588/diglit.53139#0332

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DIE INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG IN VENEDIG

Die religiöse Kunst kommt in der ganzen Aus-
stellung zu kurz. Es fehlt nicht an Bildern nach
biblischen Motiven, aber die Hauptsache neben
und über der künstlerischen Behandlung, die zum
Herzen sprechende Kraft des Glaubens und die
lebendige Beziehung zum religiösen und kirch-
lichen Leben, fehlt. Genredarstellungen auf bibli-
scher oder legendarischer Grundlage und Lösungs-
versuche für allerlei technische Probleme, unter-
nommen am religiösen Motive, können bei allem
etwa möglichen sonstigen Interesse für das Ver-
fehlen des tiefsten Zweckes keinen Ersatz schaf-
fen. Bei der deutschen Abteilung tritt dieser Man-
gel für uns Deutsche am stärksten und bedauer-
lichsten hervor. — Erfreulich ist in zahlreichen
Abteilungen der offensichtliche kräftige Zusam-
menhang des künstlerischen Empfindens und Schaf-
fens mit dem Geistes- und Volksleben der Heimat.
Hiermit hängt es sicher auch zusammen, daß die
Ungesundheit übermodernster Kunstauffassungen
sich mehr und mehr als überwunden herausstellt.
Ubermodernität bedeutet bereits so viel wie Rück-
ständigkeit, weil sie den Beweis dafür liefert, daß
sie auf Theorien beruht, die als Irrtum dastehen,
weil sie im Bewußtsein der Völker keinen Wider-
hall und Halt finden. Das einzige krasse Beispiel
dieser Art bietet Rußland. Mit ihm möge der
Anfang unserer Einzelbetrachtungen gemacht
werden. Sie können sich leider hier wie überall
nur auf kurze Bemerkungen und einige herausge-
griffene Beispiele beschränken.
Im heutigen Sowj et-Rußland bestehen zwei
Kunstrichtungen nebeneinander, die der Schule
von Petersburg, die sich mehr an ältere Tradition
hält, und die völlig radikale von Moskau. Bei der
letzteren hält man Futurismus, Kubismus und ähn-
liche Auswüchse noch für Kunstformen eines neuen
Lebens. Ein wie durch ein vielseitig geschliffenes
Prisma gesehenes Bildnis Trotzkis von Annen-
hof; ein »Selbstbildnis« mit drei Gesichtern auf
dem gleichen Rumpfe von Masckoff dürfen als
Beispiele dieser Art angeführt werden. Mit der
Darstellung eines riesigen Kerls mit roter Fahne,
der Land und Volk unter seinen Stiefeln Zusam-
mentritt, versinnbildet Kustodieff den »Triumph«
der Revolution ! Neben Werken solcher Art gibt
es einzelne solide, ja sogar recht tüchtige (von
Schukmin, Arkipoff und andern), aber von jener

Tüchtigkeit und jenem Reize, den die russische
Malerei früher unter Somoff und andern Meistern
besaß ist das alles kaum ein Schatten. Die Gra-
phik ist zum Teil leidlich. Das Kunstgewerbe
zeigt Keramiken von barbarischen Formen. Alles
in allem: Untergang der Kultur, das Neue lebens-
unfähig. — Die kleine Gruppe von Japan zeigt
erfolgreiches Streben des Festhaltens an den alten
Überlieferungen. Abirren auf das Gebiet euro-
päischer Kunstauffassungen hat man zum Glück
aufgegeben. Sehr schöne, ganz tiefsinnige Land-
schaften (Holzschnitte) zeigt Nagami, eine groß
stilisierte Frauenfigur (Aquarell auf Seide) Koseki,
eine in der Bewegung prachtvoll geschilderte auf-
flatternde Schar von Sperlingen (gleiche Technik)
Sekine. Diese wenigen Beispiele mögen hier ge-
nügen. — Holland bringt diesmal nur Graphik.
Das meiste ist in sehr moderner Auffassung ge-
geben. Anspruchvolles Posieren mit scheinbarer
Schlichtheit und Herbigkeit. Ein paar Stücke reli-
giösen Inhaltes: eine kaum zu enträtselnde An-
betung der Hirten und zwei ähnliche Werke von
Wyand, Holzschnitte (St. Georg, St. Franziskus)
von van Eyben, mehrere Radierungen von Schelt-
hout. — Aus den Darbietungen der beiden ameri-
kanischen Säle seien ein paar herausgegriffen:
ein in feinem Grau gehaltenes Damenbild von Troc-
coli, Volkstypen von Kroll, ein phantastisches Stück
»Aberglaube« von Blumenschein, ein sehr vor-
nehmes Innenraumbild mit Damenfigur von Baker.
Im ganzen herrscht viel tüchtige Arbeit und wenig
Interesse, das über den Gegenstand hinausreicht.
— Spanien schlägt teilweise kräftige Töne an.
aber die bedeutendsten Meister zeigen sich
fast nur mit wenig hervorstechenden Leistungen.
So Jose Benlliure, Zubiaurre. Chicharro hat
eine sehr umfangreiche, ausgezeichnet gemalte,
aber innerlich interesselose »Versuchung Bud-
dhas« ausgestellt. Stark empfundene Volksschil-
derung gibt Esteve; die große Komposition eines
antiken Festes zu Füßen des Kolosses von Rhodos
Munoz, ein lebensprühendes Damenbild Bilbao y
Martinez; einen Musiker porträtiert in trefflich
charakteristischer Art Mezquita; den Spuren Bot-
ticellis sucht Fortuny zu folgen. Der Menge der
überwiegend wertvollen Malereien schließt sich
tüchtige Graphik an. Unter den Plastiken be-
finden sich solche religiösen Inhaltes von Capuz;
ferner eine herrliche Meister-

JULIUS SEIDLER HIRSCH


leistung von Macko — wohl
die bedeutendste Plastik der
gesamten Ausstellung: der
»Bruder Marcello«, ein tot da-
hingestreckter Mönch, natur-
groß, das Gewand aus grauem
Granit, Gesicht, Hände und
Füße aus gelblich weißem Mar-
mor. tief ergreifend im Aus-
drucke. Vom gleichen Künst-
ler ist auch ein Monumental-
kopf des Physiologen Ramon
y Cajal. — Die Ausstellung
Belgiens erfüllt nicht ganz
die Erwartungen, die man von
früher her als gerechtfertigt
mitbringt, schafft aber doch
mehrfach Eindrücke von gro-
ßer Feinheit. So mit Malereien
von Claus, Delaunois, Rion,
Smits und andern. Kräftige
Volksschilderungen sind u a.
von Peiser; ergreifend in ihrer
 
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