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EIN BESUCH IM KLOSTER BEURON
flächen brechen die Formen, die das Antlitz bilden,
Augen, Nase und Mund mit kdarer Bestimmtheit. Ihr
Schnitt und ihre Biegung bewahrt die Seele, den stum-
men, in sich gekehrten starren Kummer, den der
Schleier einhüllt und den nur die gerungenen Hände auf-
stöhnen lassen. Das Gewand ist voll Schwere, ein be-
gleitender Akkord. Nicht nur die äußeren Maße sind in
dieser Kreuzigungsgruppe monumental, eine innere
Größe gibt ein Recht zu so gesteigerten Verhältnissen.
Mit einer folgerichtigen Selbstzucht hat der Künstler
den Weg ins Freie gefunden. Empfindungsfähigkeit
und Erfindung formen sich ihm durch das Wissen um
die Gesetze des plastischen Ausdrucks. Eine phrasen-
lose Herbheit entspricht ebenso seinem persönlichen
Wesen als einem allgemeinen Natur- und Stilverhältnis
gegenwärtiger Kunstanschauung. Ein Grund ist ge-
legt, der tragfähig für weiteres Bauen ist. Umfaßt das
Schaffen Riebers Kleinkunst und Monumentales, Pro-
fanes und Heiliges, so darf doch besonders die religiöse
und kirchliche Kunst in ihm einen ernsten Arbeiter
sehen auf ihrem schweren Wege zum neuen Werk.
EIN BESUCH IM KLOSTER BEURON
Von KONRAD WEISS
P. Desiderius Lenz, der Altmeister christlicher Kunst, der
im vergangenen Herbste in einer Reihe von Zeitungen fiir tot
erklärt wurde, feiert am 12. März seinen 94. Geburtstag. Wir
benützen die Gelegenheit, über das Wirken dieses ehrwürdigen
Künstlermönches einen Aufsatz, der verdient, aus der schnell vergessenen Schriftstellerei des Tages
herausgehoben zu werden, unseren Lesern vorzulegen. Die Redaktion.
KARL RIEBER:BÜSTE
1. ST. MAURUS IM FELDE
Es war zunächst ein Gang über die Erde zur Architektur, näherhin über den heimischen
' Boden einer klösterlichen Siedelung zur Erprobung des Eindrucks eines monastischen
Architektur- und Formgedankens, noch näher eines Kunstgedankens, in dessen mystischer
Tendenz das Heimische der Erde ausgeschieden werden will.
Die benediktinische Klosterstätte Beuron in Hohenzollern bildet seit Jahrzehnten im
religiösen und klösterlichen Leben Deutschlands einen gewissen Mittelpunkt, dessen An-
ziehung, erklärbar aus der Richtung zu ursprünglichen und reinen religiösen Formen,
stetig zugenommen und besonders nach der Revolution ernste oder erregte Geister um
sich und um einen alten oder erneuten religiösen Form- und Gemeinschaftsgedanken
bewegt hat.
Beuron, einige Bahnstationen von Sigmaringen donauaufwärts, liegt in einem tiefen
und stillen Talkessel, ganz umgeben von tafelartig gegen den Himmel abgeschnittenen
Höhenzügen, aus deren steilen Wänden mächtige Einzelfelsen wie große Basteien und
Trümmer alter Burgen heraustreten. Der Wald, der überall herumgeht, ist mit den blin-
den Farben der Buchenstämme im Vorfrühling oft wie ein feiner Rauch, oder er gibt,
umgekleidet um die Steinfarben, die ihn durchsetzen, ein leises Gefühl unfaßbaren Lebens.
Der blätterlose Laubwald hat etwas Erschüttertes; einzelne starkgrüne Tannenwipfel heben
sich dazwischen auf, die wie im Kreise eines eigenen Bereiches stehen und den vergehen-
den Wechsel der Natur nicht teilen. Im Grunde ankert, nur wenig dominierend hinter
wenigen Häusern und den großen Scheiben eines stillgeräumigen Gasthofs, die Horizon-
tale der Klosteranlage mit ihrer Kirche. Manchmal sieht man die jungen Kleriker in
kleinen Gruppen, wie es wohl vorgeschrieben ist, sich über die Wege in das Feld ver-
teilen, die Jünger eines besonderen und abgetrennten Lebens.
Der Weg nach der St.-Maurus-Kapelle führt ein geraumes Stück aus dem Tale fort, in
Bewegungen der Straße, die der Windung des Flusses näher oder ferner gehen und die
EIN BESUCH IM KLOSTER BEURON
flächen brechen die Formen, die das Antlitz bilden,
Augen, Nase und Mund mit kdarer Bestimmtheit. Ihr
Schnitt und ihre Biegung bewahrt die Seele, den stum-
men, in sich gekehrten starren Kummer, den der
Schleier einhüllt und den nur die gerungenen Hände auf-
stöhnen lassen. Das Gewand ist voll Schwere, ein be-
gleitender Akkord. Nicht nur die äußeren Maße sind in
dieser Kreuzigungsgruppe monumental, eine innere
Größe gibt ein Recht zu so gesteigerten Verhältnissen.
Mit einer folgerichtigen Selbstzucht hat der Künstler
den Weg ins Freie gefunden. Empfindungsfähigkeit
und Erfindung formen sich ihm durch das Wissen um
die Gesetze des plastischen Ausdrucks. Eine phrasen-
lose Herbheit entspricht ebenso seinem persönlichen
Wesen als einem allgemeinen Natur- und Stilverhältnis
gegenwärtiger Kunstanschauung. Ein Grund ist ge-
legt, der tragfähig für weiteres Bauen ist. Umfaßt das
Schaffen Riebers Kleinkunst und Monumentales, Pro-
fanes und Heiliges, so darf doch besonders die religiöse
und kirchliche Kunst in ihm einen ernsten Arbeiter
sehen auf ihrem schweren Wege zum neuen Werk.
EIN BESUCH IM KLOSTER BEURON
Von KONRAD WEISS
P. Desiderius Lenz, der Altmeister christlicher Kunst, der
im vergangenen Herbste in einer Reihe von Zeitungen fiir tot
erklärt wurde, feiert am 12. März seinen 94. Geburtstag. Wir
benützen die Gelegenheit, über das Wirken dieses ehrwürdigen
Künstlermönches einen Aufsatz, der verdient, aus der schnell vergessenen Schriftstellerei des Tages
herausgehoben zu werden, unseren Lesern vorzulegen. Die Redaktion.
KARL RIEBER:BÜSTE
1. ST. MAURUS IM FELDE
Es war zunächst ein Gang über die Erde zur Architektur, näherhin über den heimischen
' Boden einer klösterlichen Siedelung zur Erprobung des Eindrucks eines monastischen
Architektur- und Formgedankens, noch näher eines Kunstgedankens, in dessen mystischer
Tendenz das Heimische der Erde ausgeschieden werden will.
Die benediktinische Klosterstätte Beuron in Hohenzollern bildet seit Jahrzehnten im
religiösen und klösterlichen Leben Deutschlands einen gewissen Mittelpunkt, dessen An-
ziehung, erklärbar aus der Richtung zu ursprünglichen und reinen religiösen Formen,
stetig zugenommen und besonders nach der Revolution ernste oder erregte Geister um
sich und um einen alten oder erneuten religiösen Form- und Gemeinschaftsgedanken
bewegt hat.
Beuron, einige Bahnstationen von Sigmaringen donauaufwärts, liegt in einem tiefen
und stillen Talkessel, ganz umgeben von tafelartig gegen den Himmel abgeschnittenen
Höhenzügen, aus deren steilen Wänden mächtige Einzelfelsen wie große Basteien und
Trümmer alter Burgen heraustreten. Der Wald, der überall herumgeht, ist mit den blin-
den Farben der Buchenstämme im Vorfrühling oft wie ein feiner Rauch, oder er gibt,
umgekleidet um die Steinfarben, die ihn durchsetzen, ein leises Gefühl unfaßbaren Lebens.
Der blätterlose Laubwald hat etwas Erschüttertes; einzelne starkgrüne Tannenwipfel heben
sich dazwischen auf, die wie im Kreise eines eigenen Bereiches stehen und den vergehen-
den Wechsel der Natur nicht teilen. Im Grunde ankert, nur wenig dominierend hinter
wenigen Häusern und den großen Scheiben eines stillgeräumigen Gasthofs, die Horizon-
tale der Klosteranlage mit ihrer Kirche. Manchmal sieht man die jungen Kleriker in
kleinen Gruppen, wie es wohl vorgeschrieben ist, sich über die Wege in das Feld ver-
teilen, die Jünger eines besonderen und abgetrennten Lebens.
Der Weg nach der St.-Maurus-Kapelle führt ein geraumes Stück aus dem Tale fort, in
Bewegungen der Straße, die der Windung des Flusses näher oder ferner gehen und die