FELIX BAUMHAUER IN SEINEM LETZTEN ENTWICKLUNGSABSCHNITT 195
FELIX BAUMHAUER
IN SEINEM LETZTEN ENTWICKLUNGSABSCHNITT1)
Von JOSEF KREITMAIER S. J.
Der Künstler ist am 30. März fünfzig Jahre alt geworden. Er gehört also eigentlich,
an seinem Lebensalter gemessen, der älteren Künstlergeneration an. Wenn man so-
dann bedenkt, daß er aus der Schule Feuersteins hervorgegangen ist, möchte man er-
warten, daß auch seine geistige Physiognomie die Züge der alten Schule trägt. Wie
wenig dies indes zutrifft, lehrt schon ein flüchtiger Blick in sein umfangreiches Lebens-
werk. Zwar tragen seine frühesten Schöpfungen noch deutlich das realistische Gepräge
der vergangenen Kunstepoche, wie etwa das Titelbild zur Jahresmappe 1904 der Deut-
schen Gesellschaft für christliche Kunst, aber schon sehr bald offenbart sich der Trieb
zu Stil und Ausdruck, der sich anfänglich vielleicht noch unbewußt und ohne klare Er-
kenntnis des Zieles betätigte, aber wie jede Naturkraft diesem Ziel unablässig zustrebte.
Als dann die neue Kunst neue oder vielmehr uralte, aber jahrhundertelang verschlossene
Tore öffnete, war er einer der ersten, die mutig durch sie hindurchschritten. Die christ-
liche Kunst hatte sich ja in verbrauchten und verschlissenen Formen leergelaufen und
schrie förmlich nach Erneuerung und Wiederbelebung durch frisches Blut. So chaotisch
sich auch vorerst die neue Kunst gebärden mochte, so hatte sie doch in ihren Absichten
gar manches, was auch der christlichen Kunst frommen mußte, so vor allem den ersten
Programmpunkt, das Geistige wieder zur Herrschaft zu bringen, und die Sprache der
Seele, die allzusehr verstummt war, wieder in ihr angestammtes Recht als künstlerische
Verkehrssprache einzusetzen.
Bei der tüchtigen handwerklichen Schulung, die Baumhauer durchgemacht hatte, bei
seiner bedeutenden natürlichen Begabung und bei der frühen Reife seiner Form — man
denke nur etwa an die wuchtigen Steindrucke mit biblischen Darstellungen — war keine
Gefahr, daß er sich bedingungslos ins brausende Chaos der neuen Kunstbewegung warf,
er hat vielmehr mit dem sicheren Instinkt des wahrhaft christlichen Künstlers nur jene
Elemente der jungen Kunst in sich aufgenommen, die ihm wesensverwandt und der
christlichen Kunst förderlich waren. Denn daß dem neuen Geiste gegenüber, der nun im
expressionistischen Lager waltete, Vorsicht und äußerste Diskretion nötig war, konnte
seinem stets wachen christlichen Gefühl nicht entgehen. So sehen wir bei ihm auch kein
sprunghaftes Jagen nach Neuem, sondern natürliches Fortschreiten auf geradem Wege
dahin, wohin heute auch die neue Kunst nach mancherlei Irrfahrten strebt. Niemand
wird sich wundern, daß es auch bei Baumhauer nicht ganz ohne Schwanken und miß-
glückte Experimente abging, aber der Abweg ward stets sehr schnell erkannt. So steht
heute eine einheitliche künstlerische Persönlichkeit vor uns. Mochte die Form sich im
Laufe der Jahre noch so sehr gewandelt haben, man erkennt Baumhauersche Schöpfungen
auf den ersten Blick, weil sie den Stempel dieser ganz bestimmten Künstlerindividualität
tragen. Wenn Baumhauer jetzt manches ablehnt, was er früher geschaffen, so brauchen
wir ihm hierin nicht unbedingt zu folgen, so sehr wir auch den Fortschritt würdigen,
der sich in seinen letzten Werken offenbart. Der Künstler selbst, von seiner neuen Form-
anschauung geradezu besessen, mißt alles an ihrem Maßstab und wird dann leicht un-
gerecht gegen sein eigenes früheres Werk, während der neutrale Beobachter viel leichter
die Objektivität des Urteils wahrt.
Eine Etappe in der Entwicklung des Künstlers bedeuten die zwölf Aquarelle mit Dar-
stellungen aus dem Leben Jesu, die. eben in farbigen Nachbildungen erschienen sind2).
Zwar sind die Bilder, die in den Jahren 1914 und 1915 entstanden sind, nicht alle gleich-
wertig, nicht einmal ganz gleichartig, aber sie geben gleichwohl einen guten Begriff von
der Baumhauerschen Form vor etwa zehn Jahren und gestatten einen lehrreichen Vergleich
mit dem, was der Künstler heute anstrebt. Das Erzählende überwiegt noch das Typische,
die Natur die christliche Symbolik, das Vielerlei die geistige Konzentration, starke Viel-
farbigkeit eine farbige Aszese, barocke Bewegungsmotive die Einfalt der Form, und so
x) Vgl. die Abhandlung in Christi. Kunst XVII (1920/21), Heft 5/6.
2) Das Erbe des Heilands. Zwölf Erwägungen von Dr. Alois Wurm mit Bildern von Felix Baum-
hauer. Regensburg 1926, Josef Habbel.
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FELIX BAUMHAUER
IN SEINEM LETZTEN ENTWICKLUNGSABSCHNITT1)
Von JOSEF KREITMAIER S. J.
Der Künstler ist am 30. März fünfzig Jahre alt geworden. Er gehört also eigentlich,
an seinem Lebensalter gemessen, der älteren Künstlergeneration an. Wenn man so-
dann bedenkt, daß er aus der Schule Feuersteins hervorgegangen ist, möchte man er-
warten, daß auch seine geistige Physiognomie die Züge der alten Schule trägt. Wie
wenig dies indes zutrifft, lehrt schon ein flüchtiger Blick in sein umfangreiches Lebens-
werk. Zwar tragen seine frühesten Schöpfungen noch deutlich das realistische Gepräge
der vergangenen Kunstepoche, wie etwa das Titelbild zur Jahresmappe 1904 der Deut-
schen Gesellschaft für christliche Kunst, aber schon sehr bald offenbart sich der Trieb
zu Stil und Ausdruck, der sich anfänglich vielleicht noch unbewußt und ohne klare Er-
kenntnis des Zieles betätigte, aber wie jede Naturkraft diesem Ziel unablässig zustrebte.
Als dann die neue Kunst neue oder vielmehr uralte, aber jahrhundertelang verschlossene
Tore öffnete, war er einer der ersten, die mutig durch sie hindurchschritten. Die christ-
liche Kunst hatte sich ja in verbrauchten und verschlissenen Formen leergelaufen und
schrie förmlich nach Erneuerung und Wiederbelebung durch frisches Blut. So chaotisch
sich auch vorerst die neue Kunst gebärden mochte, so hatte sie doch in ihren Absichten
gar manches, was auch der christlichen Kunst frommen mußte, so vor allem den ersten
Programmpunkt, das Geistige wieder zur Herrschaft zu bringen, und die Sprache der
Seele, die allzusehr verstummt war, wieder in ihr angestammtes Recht als künstlerische
Verkehrssprache einzusetzen.
Bei der tüchtigen handwerklichen Schulung, die Baumhauer durchgemacht hatte, bei
seiner bedeutenden natürlichen Begabung und bei der frühen Reife seiner Form — man
denke nur etwa an die wuchtigen Steindrucke mit biblischen Darstellungen — war keine
Gefahr, daß er sich bedingungslos ins brausende Chaos der neuen Kunstbewegung warf,
er hat vielmehr mit dem sicheren Instinkt des wahrhaft christlichen Künstlers nur jene
Elemente der jungen Kunst in sich aufgenommen, die ihm wesensverwandt und der
christlichen Kunst förderlich waren. Denn daß dem neuen Geiste gegenüber, der nun im
expressionistischen Lager waltete, Vorsicht und äußerste Diskretion nötig war, konnte
seinem stets wachen christlichen Gefühl nicht entgehen. So sehen wir bei ihm auch kein
sprunghaftes Jagen nach Neuem, sondern natürliches Fortschreiten auf geradem Wege
dahin, wohin heute auch die neue Kunst nach mancherlei Irrfahrten strebt. Niemand
wird sich wundern, daß es auch bei Baumhauer nicht ganz ohne Schwanken und miß-
glückte Experimente abging, aber der Abweg ward stets sehr schnell erkannt. So steht
heute eine einheitliche künstlerische Persönlichkeit vor uns. Mochte die Form sich im
Laufe der Jahre noch so sehr gewandelt haben, man erkennt Baumhauersche Schöpfungen
auf den ersten Blick, weil sie den Stempel dieser ganz bestimmten Künstlerindividualität
tragen. Wenn Baumhauer jetzt manches ablehnt, was er früher geschaffen, so brauchen
wir ihm hierin nicht unbedingt zu folgen, so sehr wir auch den Fortschritt würdigen,
der sich in seinen letzten Werken offenbart. Der Künstler selbst, von seiner neuen Form-
anschauung geradezu besessen, mißt alles an ihrem Maßstab und wird dann leicht un-
gerecht gegen sein eigenes früheres Werk, während der neutrale Beobachter viel leichter
die Objektivität des Urteils wahrt.
Eine Etappe in der Entwicklung des Künstlers bedeuten die zwölf Aquarelle mit Dar-
stellungen aus dem Leben Jesu, die. eben in farbigen Nachbildungen erschienen sind2).
Zwar sind die Bilder, die in den Jahren 1914 und 1915 entstanden sind, nicht alle gleich-
wertig, nicht einmal ganz gleichartig, aber sie geben gleichwohl einen guten Begriff von
der Baumhauerschen Form vor etwa zehn Jahren und gestatten einen lehrreichen Vergleich
mit dem, was der Künstler heute anstrebt. Das Erzählende überwiegt noch das Typische,
die Natur die christliche Symbolik, das Vielerlei die geistige Konzentration, starke Viel-
farbigkeit eine farbige Aszese, barocke Bewegungsmotive die Einfalt der Form, und so
x) Vgl. die Abhandlung in Christi. Kunst XVII (1920/21), Heft 5/6.
2) Das Erbe des Heilands. Zwölf Erwägungen von Dr. Alois Wurm mit Bildern von Felix Baum-
hauer. Regensburg 1926, Josef Habbel.
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