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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 1.1862

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Nr. 5 (Mai 1862)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6483#0019
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mon, die Verworfenen von der Gemeinſchaft der Gerechten

abſondernd, ihnen am andern Ende beigeſellt iſt. Dieſer Fratze
gegenüber ſchwebt an der Spitze der erſtandenen Gerechten, in
ein wallendes Gewand gehüllt, der Erzengel Michael, welcher,
gleichſam den gefällten Spruch verkündend, die (theilweiſe ab-
gebrochene) Wage des Gerichtes emporhält. Er iſt es, welcher
den vor ihm zornknirſchend die Hände ringenden Satan ſieg-
reich in den Abgrund geſtürzt hat (Apokal. XII, 9). Der
erſtandenen Gerechten ſind eilf an der Zahl; vier erſcheinen
völlig bekleidet, zwei ſind im Begriff Kleidungsſtücke anzule-
gen. Die Verworfenen dagegen ſind ſämmtlich ohne Verhüllung
gebildet. Mehrere von dieſen reichen andern erſt emporſtre-
benden hülfreich die Hand. Der Gegenſatz der angelegten Klei-

dung und der Nacktheit bei den Seligen und den Verworfenen

iſt mit Abſicht hervorgehoben. Es ſoll nämlich durch dieß ſym-
boliſche Mittel die Belehrung ins Gedächtniß zurückgerufen
werden, welche I. Corinrh. XV, 50 ff. ſteht: „Dieſes ſage ich
aber, Brüder! daß Fleiſch und Blut das Reich Gottes nicht
ererben können: denn das Verwesliche kann der Unverweslich-

keit nicht theilhaftig werden. Dieſes Verwesliche muß die Un-
löſung des Menſchengeſchlechtes ſich opfernden Heiland geſucht

verweslichkeit und dieſes Sterbliche die Unſterblichkeit anzie-
hen. Wenn aber dieſes Sterbliche die Unſterblichkeit angezogen
hat, dann wird das Wort vollzogen werden, welches geſchrie-

ben ſteht: Der Tod iſt durch den Sieg verſchlungen worden.“
Bevor wir zu den höher geſtellten Bilderreihen übergehen,

haben wir noch zwei Figuren zu würdigen, welche zwiſchen
den beiden unteren Reihen mitten innen ſtehen. Um ihre Be-
deutung inne zu werden, müſſen wir der Belehrung eingedenk
ſein, welche die bereits beſchriebenen Scenen den über ſie Nach-
ſinnenden an's Herz legen. Der Betrachtende ſieht ſich gleich-
ſam an einen Scheideweg geführt; lebhaft wird bei ihm die

Ueberzeugung angeregt, daß die Wahl ihm offen ſtehe, ob

Chriſtus auch in ihm geboren werden ſolle (Gal. IV, 9); ob
er, wie die Engel und Hirten, anbetend dem Erlöſer huldi-
gen, dieſem auf ſeinem Wege folgen, oder ob er von dem
Pfade des Heils ſich abwendend den Feinden des Heilandes ſich
beigeſellen wolle, um am Ende der Tage mit der Schaar der
Seligen oder der Verworfenen für das ewige Leben zu erwa-
chen. Dieſe Wahl muß getroffen werden. Dieſe unabweisliche
Nothwendigkeit ſpricht der Apoſtel (I. Cor. X, 20) mit den
Worten aus: „Ihr könnt nicht zugleich den Kelch des Herrn
und den Kelch der Teufel trinken.“ Dieſen Ausſpruch hat nun
der Künſtler in folgender Weiſe veranſchaulicht. In der Mitte

der untern Reihe hat er eine ſchlanke, ein jugendliches Alter

verkündende, mit einem talarartigen Gewande bekleidete Figur
hingeſtellt. Ueber den Schultern trägt dieſelbe ein auf dem
Rücken herabhängend es Obergewand. Mit der rechten Hand
hält ſie einen Kelch und unterſtützt denſelben mit der linken,
damit der koſtbare Inhalt nicht verſchüttet werde. Wir können
dieſe Figur ſtrenge genommen weder für einen Kloſtergeiſtlichen
noch für einen Weltprieſter halten, da das bis auf die Schul-
tern herabfallende Haar für keinen von beiden paſſend iſt. Das
Haupt dieſer Figur wird von einer goldenen Krone, oder viel-
mehr einer Mitra älterer Form, geſchmückt. Dieſe Figur, de-
ren Bekleidung nach den Erklärungen Beda's a. a. O. dem ho-
henprieſterlichen Ornate im A. T. entſpricht, wird als die
Stellvertreterin der gläubigen Gemeinde „des heiligen Volkes,“
welches (I. Petri II, 9) „eine königliche Prieſterſchaft“ genannt
wird, zu erklären ſein, oder noch wahrſcheinlicher als die Dar-
ſtellung des chriſtlichen Prieſterthums. Oberhalb derſelben, et-
was zur Linken, iſt ſein Gegenbild zu ſchauen, eine kleine dämoniſche
Geſtalt, welche ein — an die Hexenkeſſel erinnerndes — rundes
Gefäß umklammert, aus welchem ein Todtenkopf hervorzuge-
hen ſcheint. Dieß iſt wohl das Symbol des Götzendienſtes,
welcher in ſeinem Taumelbecher „den Wein des Zornes“ (Apok.

hat Heil mitten auf Erden gewirkt‚,“

vollbracht ſei.

XVIII, 3), Tod und Verderben, dem von ihm Verführten kre-
denzt.

Oberhalb des untern Bogenfrieſes, die Mitte der ganzen
Compoſition einnehmend, hängt der Heiland an einem
Kreuz, das als ein zackiger Baumſtamm gebildet iſt.
Das Haupt hat im Tode ſich auf die rechte Schulter geneigt.
Maria und Johannes ſtehen zur rechten Seite des Gekreuzig-
ten; zur Linken iſt der Hauptmann hingeſtellt, der mit aufge-
hobener Hand das Zeugniß ablegt: „Wahrlich, dieſer Menſch
war ein Gerechter! Er. war Gottes Sohn!“ (Luc. XXIII,
47.) Neben ihm, mit Schwert und Lanze gerüſtet, der Kriegs-

knecht, welcher die Seite des geſtorbenen Heilandes durchbohrte.

Die eigenthümliche Bildung des Kreuzes ſoll, ſo ſcheint es,
an die poetiſche Ueberlieferung erinnern, welcher zu folge daſ-
ſelbe aus dem im Paradies gepflanzten Baume des Lebens
gehauen wurde.). Oberhalb des Kreuzes iſt ein Pelikan in
ſeinem Neſte gebildet, welcher — nach der bekannten Sage —

mit ſeinem Herzblute ſeine ſterbenden Jungen zum Leben er-

weckt. Daß in dieſer, frühzeitig in der chriſtlichen Welt ver-
breiteten Sage eine myſtiſche Hindeutung auf den für die Er-

wurde, hatte ſeinen Grund zunächſt in Pſalm 101, 7.*%) Bei
unſerm Bildwerke, das, wo nur thunlich, die Verehrung der
hl. Jungfrau nicht unberückſichtigt läßt, iſt es vielleicht nicht
zu überſehen, daß von der Andacht des Mittelalters Maria
ſelbſt als das Neſt des himmliſchen Pelikans gefeiert wurde.“)
Der Umſtand, daß der Opfertod Chriſti die Mitte der

ganzen Darſtellung einnimmt, iſt nicht bloß durch Rückſichten
der künſtleriſchen Compoſition, noch auch ſchlechthin durch das

Verlangen bedingt, zur Erweckung der Andacht dem Beſchauer
die ergreifenſte Scene in der wirkſamſten Weiſe vor Augen zu
führen; ſondern hat Beziehung auf Pſalm 73, 12: „Gott,
und auf die ſeit dem
hl. Hieronymus feſtgehaltene Anſicht: daß der Ort, wo der
Heiland zum Heil aller Menſchen gelitten, die Mitte des Erd-
bodens, und alſo der ältern Kosmologie gemäß zugleich die Mitte
der erſchaffenen Welt geweſen ſei. — — Durch den Tod tenkopf

am Fuße des Kreuzesſtammes wollte der Künſtler entweder

hindeuten auf den durch Chriſtus beſiegten Tod nach I. Ko-
rinth. XV, 26 und 54—55; oder auf die weitverbreitete doch
ſehr beſtrittene Sage, daß der Kreuzestod Chriſti auf dem
Calvarienberge unmittelbar über dem Grabe (Schädel) Adams

Neben den Figuren, welche zunächſt das Kreuz umſtehen,

ſehen wir zwei Schaaren der am jüngſten Tage Erſtandenen

geordnet, die, wie ſchon geſagt worden, mit den weiter ober-

halb befindlichen Gruppen der Apoſtel und Chriſtus, des Welt-

richters, in Verbindung zu bringen ſind. Der Spruch, welcher
ſie zur ewigen Seligkeit berufen, oder ſie auf immer von der
Gemeinſchaft der Heiligen geſchieden hat, iſt bereits über ſie
ergangen. Hinter den Kriegsknechten ſieht man eine Reihe von
acht, allen Ständen angehörigen, Perſonen, welche zwei Dä-
monen mit einem Stricke (II. Timoth. II, 26) umſchlungen
haben, um ſie in den gähnenden Rachen eines Unthiers, in
den Schlund der Hölle. (Jeſ. V, 24), hinabzuziehen.
Die zur Seligkeit Berufenen ſind auf der andern Seite
durch neun Figuren repräſentirt; zwei geiſtliche Würdenträger,

durch Stab und Kreuz ausgezeichnet, ſtehen voran; es folgen
vier gekrönte Häupter, von welchen zwei mit ihren Namen

„) S. Bonaventura serm. I. de invent. St. Crueis. ö
) Eine fleißige Zuſammenſtellung der auf den Pelikan ſich beziehenden
Ueberliefcrungen und Deutungen findet man in der Schrift von Martin
und Kahter: Sur quelques points de Zoologie mystique dans les an-
ciens vitraux peints. Paris 1842.

) Gottfried von Würzburg „goldene Schmiede.,“ V. 470 ff.
 
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