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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Hrsg.]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 1.1862

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Nr. 5 (Mai 1862)
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https://doi.org/10.11588/diglit.6483#0021
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— 20 —

der- chriſtlichen Wiſſenſchaft ſeit Origenes die Frage: ob die
Geſtirne lebloſe Maſſen oder ob ſie der Leitung höherer Gei-
ſter überwieſen ſeien, heftig beſprochen. Da der für die mittel-

alterliche Wiſſenſchaft ſo einflußreiche heil. Auguſtinus eine

beſtimmte Entſcheidung darüber verweigert hatte; ſo blieben
auch die Scholaſtiker hiebei vorſichtig. Daher erklärte ſich Al-
bert d. Gr. dahin: „daß die Intelligenzen jedenfalls
die Geſtirne nicht wie Seele den Leib bewegen, ſon-
dern wie der Beweger das Bewegliche.“
Dieſen Auffaſſungen huldigt ebenfalls der Künſtler unſeres
Portals, und dieſem gemäß erſcheinen in der Höhlung der in-
neren Spitzbogengurten zwölf Engel als Lenker der zwölf Ab-
theilungen des Kreiſes des geſtirnten Himmels, durch welche

der Lauf der Sonne ſich bewegt. Dieſe unſere Erklärung wird

dadurch unterſtützt, daß bei den weiter oben beſchriebenen Sta-

tuen der Magier der Stern, der dieſe auf ihrer Reiſe leitete,

in der Hand eines über dem Haupte des erſten von ihnen
ſchwebenden Engels gebildet iſt. Sollte noch ein Zweifel an
der Richtigkeit der vorgeſchlagenen Deutung obwalten können,
ſo wird dieſe beſeitigt durch die Figur einer Jungfrau, welche

die Bruſt mit dem Bilde der Sonne bedeckt, im Scheitelpunkt
der Gurte oberhalb der Engel ſchwebt. Fragen wir, welche

Bewandtniß es damit habe, ſo gibt uns der Bruder Eber-
ard von Sax folgende Antwort: ·
S wer nu rehte wil erkunnen,
„ wer din ist, diu mit der sunnen
ist bekleit Fmit richen wunnen
gekroenet mit zwelf sternen klar,
und ir schemel ist der mane,
daz is alles zwivels ane.
in der warheit niht nach wane,
diu maget, diu Got gebar,
Eilliu ereatuire zeiget
din lob, unt wirt doch erreiget
niht, wan Got hat sich geneiget
. diner minue wunne har. “)
Es wird nämlich die Erſcheinung, die dem Seher des N.
B. gezeigt wurde (Apocal. XII, 1) „eine Frau mit der Sonne
umgeben, der Mond unter ihren Füßen, und auf ihrem Haupte
eine Krone von zwölf Sternen“ durchgängig auf die hl. Jung-
frau bezogen. Maria, von welcher die Verſöhnung zwiſchen
Himmel und Erde ausgeht, waltet in Mitte der geiſtigen
Mächte, die am Firmamente zwiſchen der ſublunariſchen Welt
und den höheren Himmelskreiſen ſich bewegen; ſie wird in
dem Verhältniß zu den himmliſchen Boten gedacht, welche
nach den Anſchauungen der damaligen Wiſſenſchaft zwiſchen
der Sonne und den übrigen Geſtirnen obwalten ſollte. Die
Sonne dachte man ſich nämlich als das Centrum der Ster-
nenwelt, den Quell alles Lichtes und aller Wärme. Alle Sterne
empfangen ihr Licht von der Sonne, nehmen es aber innerlich
auf, nicht äußerlich.) —
Nicht zu überſehen iſt, daß die Engel auf der einen Seite
Rauchfäſſer ſchwingen, während ſie auf der andern Kro-

nen in den Händen halten. Es ſollte mittels dieſer Symbole

der Gedanke ausgeſprochen werden: das den Engeln überwie-
ſeue Amt beſtehe darin, die Andacht, das Gebet der Men-
ſchen, welches durch die Weihrauchwolke angedeutet wird (Pſ.
140, 2. Apokal. VIII, 3), aufwärts zu dem Schöpfer, und
die Kronen, den endlichen Lohn der dem Herrn bewährten
Treue (Apokal. ö
Menſchbelt herabzubringen. Dieſe geiſtvolle Auffaſſung hält
Man vergl. S. Bernard. serm. de dominica infra octavam as-
sumptianis B. Mariae Virg-. ᷓ *
*) Albert. M. lib. de coelo et mundo tract. I. cap. 9;3 de ge-
nerat. tract. VI. cap· 4. Opp tom II, pag · 18 et 41.

II, 10), aus den Höhen des Himmels der

Verantwortliche Redaetione Stephan Braun — Druck und Verlag von J. Dilger in Freiburg.

zugleich den Wahn fern, daß die Handlungen der Menſchen
an den bedingenden Einfluß der Geſtirne gebunden ſeien, und
wahrt die freie Selbſtbeſtimmung zu Ergreifung des Guten
oder Böſen. — Ob noch weiter an die doppelte Bewegung des
geſtirnten Himmels von Oſten nach Weſten und von Weſten
nach Oſten gedacht worden ſein mag, müſſen wir auf ſich be-
ruhen laſſen. —— ö
Auch in Bezug auf die andern Gurten und die dieſelben

ſchmückenden Statuenreihen haben wir die altchriſtlichen Vor-

ſtellungen von der Ordnung der Schöpfung und der Geiſter-
welt mit wenigen Worten in Erinnerung zu bringen. Dieſen
Vorſtellungen gemäß, welche die wiſſenſchaftlichen Theorien des Al-

terthums mit den in den hl. Schriften aufgeſuchten Andeutungen in

Einklang zu bringen ſtrebten, wölbte ſich der Himmel über der
Sphäre der Fixſterne, wo „die Waſſer, welche über dem Him-
mel ſind“ (Pſ. 148, 4 Daniel III, 60) verdichtet ſind, und
von welchem der Anſtoß aller Bewegung des Weltgebäudes
ausgeht. Erſt jenſeits dieſes Kreiſes beginnt das Empyreum,

der geiſtige Himmel, der Wohnort der Seligen, der Sitz der

dreieinigen Gottheit. Dieſe gangbaren Theorien, welche das
große Gedicht Dante's zur Vorausſetzung hat, ſind ausführ-
lich bei dem hl. Thomas v. Aquin entwickelt; der Urheber
unſeres Portals ſcheint einer Auffaſſung des hl. Bonaven-

tura) ſich angeſchloſſen zu haben, wornach über dem Fir-

mamente mit der Cryſtallſphäre anfangend der Himmel in
dreifacher Gliedernng ſich ausbreitet. ö
Die zweite Höhlung der Spitzbogengurten, mit welchem

die drei Kreiſe der Seligen anfangen, iſt mit den Figuren von

vierzehn Propheten geſchmückt, wozu noch ein fünfzehn-
ter, in der mittleren Höhe geſtellter hinzukommt, in welchem
man bisher eine Darſtellung des hl. Geiſtes hat erkennen
wollen, der durch ſie geſprochen. Die Namen der einzelnen
Propheten, welche auf den Spruchrollen in ihren Händen ver-
zeichnet ſind, ſcheinen zur Zeit der Reſtauration, welche das
Portal erfuhr, bereits theilweiſe unleſerlich geweſen zu ſein.
Einige Namen ſind bei dieſer Gelegenheit verſchrieben worden;
zwei ſind heute gänzlich verſchwunden. Bei der Ordnung
in welcher die Statuen dermalen auf einander folgen, war,
vorausgeſetzt, daß es noch die urſprüngliche iſt, keineswegs die
Reihe ſtreng feſtgehalten, in welcher die Schriften der Pro-
pheten in dem A. T. Kanon zuſammengeſtellt ſind. Beginnt
man nämlich mit der unterſten Figur der nördlichen Seite, ſo
lieſt man auf den Spruchrollen folgende Namen: Jeſaias,
Jeremias, Oſea, Baruch, Ho ſea, Zacharias. Der
Name des letzten Propheten an dieſer Seite iſt unleſerlich.
Im Scheitelpunkt des Gurtbogens erblickt man ſodann Jo-
nas, deſſen Oberkörper dem Rachen des Ungeheuers, das ihn
verſchlungen hatte, entſteigt. Abwärts von dieſen lieſt man auf den
Rollen, welche uns von den folgenden Figuren an der Südſeite vor-
gehalten werden die Namen: Amo, Naum, Siphonias (sic),
Agäus, Daniel. Der Name des letzten Propheten iſt nicht
mehr zu entziffern. Auf der nördlichen Seite muß der Name
Oſea oder Hoſea ein Schreibfehler ſein, da gewiß derſelbe
Prophet nicht zweimal abgebildet war. Unrichtig iſt an der
ſüdlichen Seite die Bezeichnung Amo, da der Name des Pro-
pheten Amos gleich darauf folgt. Der Name Hoſea iſt nun
wahrſcheinlicher Weiſe an die Stelle von Joel gekemmen, ſtatt
Amo hatte die ältere Schrift muthmaßlich Abdias geſetzt. Nimmit
man nun an, daß die beiden unleſerlich gewordenen Namen
Michäas und Habakuk waren, ſo fehlen aus der Zahl der
ſämmtlichen Propheten noch Ezechiel und Malachias.

— 8. Bonaventura lib: II. Sentent. dist. II. ‚
 
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