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Christlicher Kunstverein der Erzdiözese Freiburg [Editor]
Christliche Kunstblätter: Organ des Christlichen Kunstvereins der Erzdiözese Freiburg — 12.1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.7190#0014
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— 244 —

Apoſteln gearbeitet hatte. Als Wittwe nahm ſie den Nonnen-
ſchleier und wieder ihre kunſtvollen Nadelarbeiten auf; aber jene
Werke ſind verſchwunden, verweht, vermodert, wie die Menſchen,
die ſie ſchufen, verſchollen, wie die Sitten und Trachten jener
Zeit!
Die älteſte Kunſtſtickerei, die uns erhalten geblieben, iſt die
berühmte Tapiſſerie de Bayeur, die Tapete auf dem Stadt-
hauſe des gleichnamigen Ortes, welche die Landung Wilhelm
des Eroberers bei Haſtings vorſtellt und ſeiner Gattin zuge-
ſchrieben wird. Dieſe Arbeit zeugt von dem hohen Standpunkt
welchen die Arbeiten normänniſcher und angelſächſiſcher Frauen
zu jener Zeit einnahmen, die Vortreffliches in der Kunſt der
Stickerei leiſteten. Bei ſeinem erſten öffentlichen Erſcheinen
nach der Schlacht bei Haſtings trug Wilhelm der Eroberer ein
geſticktes Kleid, von deſſen Pracht die Chroniſten ſeinerzeit be-
richteten. Angelſächſiſche Könige benützten bei ihren Pilgerfahrten
nach Rom dergleichen mit Gold und Edelſteinen geſchmückte
Gewänder, welche die Bewunderung des Papſtes Jnnocenz JV.
in ſo hohem Grade erregten, daß er anno 1246 in offiziellen
Briefen an die Ciſtercienſer-Aebte in England eine Anzahl von
ſolchen Gewändern in angelſächſiſcher Arbeit (opus anglicanum)
für eigenen Gebrauch beſtellte.
Erlauchte Frauen, welche dieſe Arbeit übten, ließen die
Muſter zu ihren Stickereien von Künſtlern zeichnen, wie das
Beiſpiel St. Dunſtan's beweist, der als Muſterzeichner ſo
lange im Dienſte hoher Damen ſtand, bis er, wie die Chronik
meldet, den Kreis erlauchter Stickerinnen einmal in übermüthi-
ger Laune durch eine Probe von Bauchrednerkunſt oder durch
Töne einer Aeolsharfe ſo in Angſt und Schrecken verſetzte, daß
er als Zauberer gefangen genommen und einem peinlichen Got-
tesgerichte unterzogen wurde.
So tritt uns bei dem Studium der Geſchichte der Frauen-
arbeit mancher komiſche Zug entgegen, der auf Sitten und An-
ſchauung früherer Zeiten intereſſante Streiflichter wirft; allein
wir können nicht dabei verweilen, ja nicht einmal die Namen
der kunſtverſtändigen Frauen jener Epoche aufzählen, die ſich um
die Frauenarbeit verdient gemacht hatten. Nur die Königs-
töchter: Margarethe, Edward's J. Tochter, Johanna Edward's
JJ. Tochter und Eliſabeth von ork wollen wir nennen, im
Uebrigen aber dem Ausſpruche William of Poitier's, Sekretär
Wilhelm des Eroberer's glauben welcher ſchrieb: ,,Die eng-
liſchen Frauen ſind ausnehmend geſchickt mit der Nadel und im
Goldwirken.''

Auch die ,,jungfräuliche'' Königin Eliſabeth von England
und namentlich deren Gegnerin Maria Stuart liebten und
übten die Kunſt der Nadel. Jn Briefen, die Maria in ihrer
Gefangenſchaft ſchrieb, begehrte ſie dringend Stoffe und Arbeits-
material, um ſich durch Nadelarbeit zu zerſtreuen. Jhre Kunſt-
fertigkeit ſtammte von dem Hofe der Katharina von Medici,
einer Meiſterin in der Kunſt der Stickerei, die, wie Brantôme
erzählt, im Verein mit ihren Töchtern und der ſchottiſchen Maria
ihre Zeit nach Tiſch mit Beſorgung von Seidearbeiten ver-
brachte, worin ſie ſo vollendet als möglich war. Jhre Tochter,
Königin Margot, erſte Gattin Heinrichs JV., wurde von den
Poeten ihrer Kunſtfertigkeit wegen mit Minerva verglichen, der
kunſtgeübten Göttin, welche die kühne Arachne, die in frevlem
Uebermuthe ſich gerühmt, im Spinnen es der Himmliſchen zu-
vorzuthun, zur Strafe in die Spinne verwandekt hat, als
welche ſie nun in Ewigkeit fortſpinnt.
Wie hoch geſchätzt die Nadelarbeit noch im Jahre 1620
war, beweist ein Frauengrabmal in der Weſtminiſter-Abtei,
auf dem als Grabſchrift zu leſen: ,,Exquisite at her needle '
(Ausgezeichnet in der Nadel).
Seither aber hat man es allmälig verlernt, dieſer Kunſt-
fertigkeit ſo hohe Bedeutung beizulegen. Königstöchter lernten
auf den Vorzug verzichten, ihrer Geſchicklichkeit wegen mit Pallas
Athene verglichen zu werden; mit dem Verfalle der Kultur,
den in Deutſchland der dreißigjährige Krieg nach ſich zog, in
der Entſittlichung der franzöſiſchen Höfe, welche das Weib
zur Puppe oder zur Deſpotin machte und welche in ganz Europa
ihr Spiegelbild fand, verlernten königliche Frauen die Arbeit;
die geſtickten Hofkleider des achtzehnten Jahrhunderts waren
nicht mehr Zeugniſſe des Fleißes, ſondern nur der Prunk-
ſucht der großen und kleinen Höfe, und als den Schäferſpielen
zu Trianon die franzöſiſche Revolution ein grauſames Ende
bereitet, trug ſie durch die Einfachheit, namentlich der Mäuner-
kleidung das Jhrige dazu bei, die Stickerei der Vergeſſenheit
preiszugeben, und ſo verfiel dieſe Kunſt und ſank zum Hand-
werk herab.
Nur in Klöſtern, von wo ſie ausgegangen, erhielten ſich
einzelne Zweige weiblicher Kunſt⸗Jnduſtrie und heute begegnen
wir überall, wo in der Weltausſtellung abendländiſche Frauen-
arbeit ausgelegt iſt, den Spuren der Kloſterarbeit. So
auch im Pavillon der Frauenarbeit, der an Stickereien eine Aus-
wahl des beſten enthält, was Frauen aus allen Theilen Oeſter-
reichs zur Weltausſtellung eingeſandt haben.
Nachdem wir den Standpunkt, auf dem wir dieſen Zweig
der Frauen-Jnduſtrie bei uns in Oeſterreich finden, mit Vor-
ſtehendem gekennzeichnet haben und indem wir konſtatiren, daß
wir uns mit der Kunſtfertigkeit der Frauen frühere Zeitepochen
durchaus nicht meſſen können, dürfen wir doch behaupten, daß
in den meiſten der exponirten Stickerein ſich wieder das Be-
ſtreben kundgibt, die geſunkene Handarbeit neuerdings auf eine
höhere Stufe der Vollendung zu bringen, was beſonders in
einzelnen Fällen gelang, wo die Hand eines Meiſters es nicht
verſchmähte, ein ſtilvolles Deſſin für die Stickerei zu entwerfen.
Ebenſo günſtigen Effekt erzielen Arbeiten bei denen beſonders
Talent, Geſchmack und Gewandtheit in Führung der Nadel die
Frauenhand befähigt zu haben ſcheint, gute eigene Jdeen zur
korrekten Ausführung zu bringen.
Vielfach leiden jedoch die im Pavillon der Frauenarbeit
exponirten Stickereien, ſelbſt jene, welche vorzügliche Nadelar-
beit aufweiſen, an der unzulänglichen Zeichnung oder an einem
rohen Vordruck, durch den das Deſſin auf den Stoff gebracht
wurde. (Asſt.-Z)

Auch in Spanien war unter Jſabella von Caſtilien die
Nadelarbeit zu hoher Blüthe gelangt, und kultivirte man dort
die Erzeugung der ,,Point d'Espagne'', einer Spitzengattung
aus Goldfäden und farbiger Seide. Die Spanierinnen ſcheinen
dieſe Kunſt den Mauren abgelernt zu haben, und ſollen nament-
lich die Jüdinnen ſich trefflich darauf verſtanden haben; denn als
dieſe aus dem Lande gejagt wurden, verfiel jene Kunſt in
Spanien, und die katholiſchen Könige mußten die Goldſpitzen
für ihren Hofſtaat und den Schmuck ihrer Kirchen ſpäter aus
Jtalien und namentlich aus Florenz beziehen. Jſabella's Tochter,
Katharina von Aragonien, brachte die Kunſtfertigkeit in ſpaniſcher
Stickerei nach England, wo ſie nach der Erzählung von Zeit-
genoſſen ,, her days dit pass in woring with the needle
curiously'', und der päpſtliche Legat Kardinal Wolſey, welcher
ſie in Angelegenheit ihrer Scheidung von Heinrich VJJJ. auf-
ſuchte, fand ſie im Kreiſe ihrer Frauen mit Handarbeit be-
ſchäftigt. Königin Margaretha, Großmutter Heinrichs JV.
eine durch hohe Schönheit, Geiſt und Liebenswürdigkeit ausge-
zeichnete Frau, von Poeten ihrer Zeit die zehnte Muſe und
vierte Grazie genannt, war gleich gewandt in Führung der
Nadel und Feder und nicht nur ihrer Poeſien, ſondern auch
ihrer Handarbeit wegen berühmt.
 
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