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sondere Praxis eines Ordens (vgl. die Cisterzienserkirchen Maulbronn und Beben-
hausen) diese Behandlung des Chors auch später gefordert hätte.
Von selbst aber legt es sich jetzt auch nahe, daß bei Kirchen der hier be-
sprochenen Grundanlage eine Umwandlung in gothische Formen leichter, als bei
den unter 2) erwähnten eintretcn konnte, weil der Chor hier bei einer Vergröße-
rung, Erhöhung oder sonstigen Umänderung zu eckigem Abschluß kein Hinderniß
darbot. Und gewiß ist dieser Umstand Schuld, wenn es nur noch derhältnißmäßig
wenige Kirchen der jetzt beschriebenen Form gibt gegenüber der Menge jener, die
unter die Form 1) fallen. Keineswegs darf aber darum hinter jeder Kirche, wo
jetzt ein schöner gothischer, vieleckig schließender Chor im Osten und ein Thurm im
Westen steht, eine frühere romanische Grundanlage mit quadratischem Chor ver-
rnuthet werden, sondern Kirchen dieser Art können ebensowohl rein und ganz gothi-
schen Ursprungs sein. So ist z. B. bei der Kirche zu Enzweihingen und bei
der Martinskirche in Nußdorf (datirt von 1428) keinerlei Grund, sie nicht als
rein gothisch zu betrachten. Immerhin fehlt es aber nicht an Beispielen, daß sogar
bei größern Kirchen, bei denen man sonst an Entstehung des Ganzen in gothischer,
ja spätgothischer Zeit denken möchte, bei genauerem Zusehen eine romanische Grund-
anlage der bezeichneten Art sich ergibt. So haben wir es nach dem Eingangs er-
wähnten bei der (Marien-) Kirche zu Vaihingen anzunehmen; so bei der Stifts-
kirche zu St. Georg in Tübingen (nach Bunz S. 6—8). Bei der Michaels-
kirche zu Hall ist der romanische Thurm im Westen noch ganz erhalten.
Jedenfalls ist nach Allein außer Zweifel, daß bei westlicher Stellung des
Thurmes und jetzt gothischem Chorschlnß viele Kirchen mit ihrer Entstehung in die
romanische oder die Uebergangszeit zurückgehcn werden, und es sich also auch bei -
kleinereu Kirchen dieser Art vielfach lohnen dürfte, nach weiteren Erkennungszeichen
des romanischen Stils zu suchen. In Roswaag z. B. finden sich rnndbogige
Schallöffnungen am Thurm, während der Chor 1497 erbaut wurde, dem Stein-
metzzeichen nach wohl vom gleichen Baumeister, der die Liebfrauenkirche in Licn-
zingen nm 1480 baute. Von den bei Leins angeführten Kirchen dürfte besonders
die in Plieningen in früherer Zeit so gestaltet gewesen sein, wie die zu Ip-
tingen u. s. w., indem nicht blos das Schiff mit seinen romanischen Verzierungen,
sondern auch der Thurnr in viel frühere Zeit zurückweist, als der 1493 erbaute
Chor. Auch bei manchen der von Leins (S. 20) genannten Kirchen, wo auf-
fallenderweise die Lichtöffnung des Triumphbogens am Chor noch ein Stück weit
über die Decke des Schiffes in den Dachraum hinaufgeht, dürfte jene Veränderung
des früher etwa mit einfachem Kreuzgewölbe in romanischer Weise überdeckten Chors
in die hochgesprengte gothische Wölbung zu Grund liegen. Bei Beutelsbach
wenigstens sind an Thurm und Schiff deutliche Spuren der romanischen Zeit
erhalten.
4) Neben den zwei bisher erwähnten und besprochenen Grundstellungen des
Thurmes, im Osten oder im Westen, war noch eine möglich, die zur Seite von
Schiff und Chor gegen Norden oder Süden, und zwar ergab sich hiefür, da doch
das Schiff meist breiter war als der Chor, naturgemäß die Stellung in einer der
Ecken zwischen Chor und Schiff. An sich ist nun freilich nicht zu bestreiten, daß
 
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