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widerspräche. Die Bewegung der Hände ist sogar ausdrucksvoller als auf dem
Leonardo'schen Bilde, gleichsam ergänzend für das, was durch Entziehung des
vollen Antlitzes verloren geht. Nachdem einmal in jenem Vorbild das Vollendetste
in der Person Christi geleistet worden war, konnte Uhde nur dadurch mit Erfolg
an seine große Aufgabe herantreten, daß er ihr eine neue Seite abgewann: daß
er sich mit den Jüngern eingehender befaßt hat, als es Leonardo that. Für
diesen wäre es eine Abschwächung des Bildes gewesen, hätte er eine gleiche In-
dividualisierung bei den Jüngern eintreten lassen, wie bei Christus. Wo dieser
ganz und voll zur Erscheinung tritt, muß ja die Umgebung znrücktreten. Stim-
mung haben nur Johannes und Judas, die übrigen, so voll Beweglichkeit die-
selben sind, haben nur etwas Schematisches.
Anders bei Uhde. Johannes ist hier wieder nur durch die Körperbewegung
und die Hände ausdrucksvoll, Judas durch seine verdächtige Haltung im Hinter-
grund. Dagegen sind die Jünger im übrigen aufs stärkste individualisiert.
„Einer unter euch wird mich verraten" hat eben Christus gesprochen und „wie
schrecklich" spricht sich es in den Gesichtern der Hörer aus. In dieser Hinsicht
ist der Ausdruck der Physiognomiken ganz auf der Höhe der Situation, von dem
Alten links an sich steigernd bis zu dem Christus gegenüber Sitzenden. Dann
kommt ein die anderen Überdenkender und ein den Kopf in die Hand Stützender,
welcher sich sagt: „sind wir solche Entsetzliche?" — Sind diese in den Angesichtern
stehenden Fragen unberechtigte? Ist es nicht natürlich, daß das Verbrechen,
welches einem unter ihnen vom Allwissenden vorgehalten wird, in dem einen und
andern Kopf so reflektiert, daß diejenigen nicht ganz und gar unrecht haben,
welche davon sprechen, daß die Jünger Verbrechern gleich sehen? Im übrigen
aber ist der Vorgang so unmißverständlich und es sind namentlich auf der linken
Seite des Herrn so würdige Persönlichkeiten dargestellt, daß wir zugestehen müssen:
das Ergreifende des Augenblicks kommt in den Jüngern ganz angemessen zum
Ausdruck. Dieses bisher noch nie geschilderten Motives halber ist das Bild
Uhde's sehr hoch zu stellen. Es ist eben hochmodern, so auf ein Einzelnes ein-
zugehen und dies mit vollster Wahrheit erschöpfend zur Erscheinung zu bringen.
Daß die Köpfe und die Hände meisterhaft gezeichnet sind, kann nicht verkannt
werden. Überall zeigt sich eine Ausführung, welche das liebevollste Eingehen
des Meisters ausdrückt.
Alles in allem: die beiden Bilder sind Extreme; bei Leonardo herrscht
architektonischer Aufbau und stilvollste Behandlung, bei Uhde ist davon Umgang
genommen, um das Einzelne möglichst zu seinem Rechte kommen zu lassen. —
Wir geben hiemit dem geehrten Kunstfreunde, welcher zu dem Artikel über-
neuere realistische Kunst und H. v. Uhde in der vorangehenden Nummer Anlaß
gegeben hat, Nanni zu einer sachlichen Erörterung, die auch nnsern Lesern um
so mehr von Wert sein möchte, als der H. Verfasser, wie er uns schreibt, Uhde
persönlich unbekannt ist. Wir unsererseits hätten nur gewünscht, daß die aus
dem Evangelium geschöpften Bedenken gegen den Uhde'schen Christus gehoben
wären und daß Herr von Uhde uns das volle evangelische Heilands-Antlitz zeigen
möchte. Uio Ulroäus, krio sutku. D. R.
 
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