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Davon, wie sehr der Wasa-Barock stilmäßig anderen Warschauer Bauwerken
vorausgeeilt war, zeugt der Vergleich mit der Architektur der Dominikanerkirche
(Ulica Freta 8). Das für diese Kirche charakteristische verlängerte Presbyterium
(nach 1612) ist Ausdruck der in jener Zeit verbreiteten Tendenz, in der Sakral-
baukunst zur Gotik zurückzukehren. Die Wölbung der Schiffe der Dominika-
nerkirche erhielt eine im zweiten Viertel des 17.Jahrhunderts verbreitete bauplasti-
sche Ausschmückung in der Lublin-Manier, deren Entstehen in der Verbindung
spätgotischer Rippen mit der Renaissanceornamentik zu suchen ist. Eine Über-
gangsphase zwischen dem Manierismus (Verlängerung und Erhöhung des Schiffes
sowie der Giebel) und dem Barock (architektonische Dekoration) repräsentiert
die Jesuitenkirche (Ulica Swi^tojaiiska 12). Ein interessantes Gebäude aus der
Epoche des Frühbarocks ist auch das Loreto (Ulica Ratuszowa 5), entworfen
von dem königlichen Baumeister Constante Tencalla nach dem Vorbild der Casa
santa in Loreto. Südlich vom Königsschloß, am hohen Weichselufer, entstanden
die prachtvollsten Residenzen: jene der Familien Kazanowski (Ulica Krakowskie
Przedmiescie 62) und Koniecpolski (Ulica Krakowskie Przedmiescie 46/48) sowie
das Kazimierzowski-Palais (Uiica Krakowskie Przedmiescie 26/28). Die repräsen-
tativste Residenz war das Ujazdowski-Palais mit quadratischem Grundriß und
sechseckigen Türmen. Zur Weichsel erhielt es eine interessant gestaltete Fassade
mit einer großen, dreiarkadigen Loggia. Die Warschauer Böschung war ein be-
sonders exponierter Platz für Königs-, Adels- und Magnatenresidenzen. Seit
Anfang des 16. Jahrhunderts entstanden hier Dutzende solcher Wohnsitze unter
Ausnutzung des Bodenreliefs. Paläste und Herrenhöfe thronten auf der höchsten
Stelle, denen sich terrassenartig zur Weichsel abfallende Gärten und Parks an-
schlossen. Die Kette von Residenzen dieser Art begann in Mlociny (Norden) und
endete in Natolin (Süden).

BAROCK ZUR REGIERUNGSZEIT KÖNIGS JAN III.
Die wichtigste Entwicklungsphase in der neuzeitlichen Warschauer Architektur
war ohne Zweifel die zweite Hälfte des 17.Jahrhunderts, genauer, dessen letztes
Viertel, das in die Regentschaft des Königs Jan III. Sobieski fiel. Von dem Auf-
schwung im Bauwesen zeugen beachtlich viele und so schöne Bauwerke wie das
Gotteshaus der Sakramentinerinnen, die Bernhardiner- und die Heiligkreuzkirche,
die Palais der Familien Krasinski und Radziwill in der Ulica Miodowa, das Mor-
sztyn-Palais (existiert nicht mehr) sowie die Königsresidenz in Wilanöw. Die
Mehrzahl der Gebäude projektierte Tyllman van Gammeren, der hervorragendste
Baumeister dieser Zeit in Polen.
Zu den besonderen Leistungen Tyllmans gehören zwei sakrale Bauwerke: die
Kirche der Sakramentinerinnen (Rynek Nowego Miasta 2) und die Bernhardiner-
kirche im Stadtbezirk Czerniaköw (Ulica Czerniakowska 2/4). Die Kirche der
Sakramentinerinnen hat im Grundriß die Form des griechischen Kreuzes, durch-
flochten mit einem Achteck. Diese Anlage stützt sich auf die Tabernakelform, die
in Italien seit der Mitte des 15.Jahrhunderts verwendet wurde; für die Ordens-
schwestern aus dem Kloster der Anbetung des Allerheiligsten Sakraments hatte
sie einen eindeutig symbolischen Charakter.
Die Bernhardinerkirche stellt z.B. eine Wiederholung des Grundrisses der Sakra-
mentinerinnenkirche dar; ihr kuppelüberwölbtes Schiff bildet ein griechisches
Kreuz. Die Kirche besitzt eine niedrige Vorhalle, das Presbyterium dient als
Mausoleum für Reliquien des hl. Bonifatius. Den gegliederten, verlängerten
Baukörper der Kirche schließt senkrecht ein Flügel des Klostergebäudes ab.
Sowohl die Altäre wie auch die Malereien und Stuckdekorationen des Innenraumes
entwarf Tyllman van Gammeren. In dieser Kirche traten zwei charakteristische
Tendenzen auf: Die räumliche Anlage knüpft an die Kunst der Renaissance an;
Dekoration und Innenraumausstattung sind barock. Stanislaw Herakliusz Lubo-
mirski schrieb mit Recht über seine Stiftung, daß sie »in ihrer Schönheit keiner
anderen polnischen Kirche nachsteht«.
Zu den bedeutendsten Bauwerken gehört ebenfalls die von Tyllman projektierte
Grabkapeile der Familie Kotowski an der Nordseite der Dominikanerkirche, die
an die traditionelle kuppelüberwölbte Form mit quadratischem Grundriß anknüpft.
Das in den Jahren von 1677 bis 1682 im Auftrag Jan Dobrogost Krasinskis errich-
tete Palais stellt eine ausgezeichnete Synthese verschiedener Leistungen euro-
päischer Baukunst dar (des Rathauses in Amsterdam, der Louvre-Fassade, der
Fassade des Invalidendomes in Paris u.a.) und kündigt zugleich eine Reihe ähnli-
cher Bauwerke in Polen wie auch im Ausland (Berlin und Petersburg) an. Das

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