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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

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3. Heft
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Der Kunstmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0121

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DER KUNSTMARKT

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EIN UMSTRITTENES WERK TIZIANS

Durch die Gesellschaft für Literatur und Kunst
wurde im November 1908 in Berlin unter anderem
ein Bild zur Versteigerung gebracht, das, aus
österreichischem Privatbesitz stammend, mir schon
seit einigen Jahren bekannt war. Ich hatte dem
früheren Besitzer nach mehrfacher Besichtigung
erklären können, daß mir die Zuschreibung der
Porträts an Tizian durchaus berechtigt erscheine.
Später wurden Zweifel an dessen Autorschaft
geäußert. Neuerlich um meine Meinung gefragt,
fand ich keine Veranlassung, dieselbe zu ändern.
Wieder ergab eine genaue Überprüfung, daß
Tizian der Autor sei. Da mein Name dann
auch im Zusammenhang mit dem Bilde genannt
wurde, möchte ich den Fachgenossen die Gründe
nennen, die mich in meiner Ansicht,

Tizian sei der Autor, bestärken. Das
in nebenstehender Abbildung vorge-
führte Bildnis eines Unbekannten ge-
hört allerdings zu den einfachen,
schlichten, im Kompositionellen fast
befangenen Arbeiten des Meisters. Die
halbe seitliche Wendung des Körpers,
dem der Kopf folgt, während die Augen
auf den Beschauer gerichtet sind, ist
bei Tizian so häufig, daß Beispiele
nicht nötig sind. Die Modellierung
des Kopfes ist von einer großen Fein-
heit, die man sogar schon aus einer
guten Abbildung ahnen kann. Durch
eine in reichen Übergängen sich voll-
ziehende Modulation des Fleischtons
wird das Spiel der Muskeln, das
plastische Gefüge des Kopfes vorzüg-
lich präzisiert. Die Äugen sind von
geistreich lebendigem Ausdruck. Wir
kennen den so unmittelbar lebens-
voll uns zuleuchtenden Blick von
zahlreichen anderen Werken Tizians.

Auch für die sehr charakteristische Art
der Zeichnung der Nase ist es nicht
schwer, Analogien zu finden (z. B. bei
der „Bella“ des Palazzo Pitti). Auch
Mund und Ohren weisen eine in an-
deren Werken vorkommende Bildung
auf. Was die Form der Hand betrifft,
so könnte die Übereinstimmung der-
selben mit der auf dem Porträt des
Federigo Gonzaga im Prado nicht
vollkommener sein. Wir finden dort

auch dieselbe Eigentümlichkeit, daß der Ring
auf dem zweiten Gliede des Ringfingers ge-
tragen wird; eine Sitte, die noch im XVI. Jahr
hundert verschwindet, wie mir Camillo List
mitteilt. Und damit kommen wir zur Tracht,
die in dunklem Leibrock mit weißem Spitzen-
ansatz an Kragen und Ärmel besteht. Der
Schnitt des Rockes zeigt durchaus keine für
die Zeit ungewöhnliche Form. Auch die Spit-
zen brauchen nicht, wie ich wohl vermu-
tungsweise einmal äußerte, spätere Zutat zu
sein, sondern widersprechen keineswegs der
Datierung des Bildes in das XVI. Jahrhundert.
Der Spitzenbesatz, der noch nicht, wie im
XVII. Jahrhundert in der Regel über den Ärmel
zurückgeschlagen ist (wohl auch am Hemde und
nicht am Rockfutter angenäht), [läßt sich, wie
 
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