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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

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16. Heft
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Schaeffer, Emil: Kunsthistoriker und Verleger: Glossen
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0526

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Kunsthistoriker und Verleger

Glossen von Emil Schaeffer1)

Vor drei oder vier Monaten, just als die
germanischen und britannischen Horden in Welsch-
land einbrachen, oder, schlichter gesagt, zu Beginn
der Fremdensaison, ließ der Florentiner Verleger
Älinari ein Werk erscheinen, das „1’ Ärno“ hieß,
und als Verfasser waren auf dem Einbande
„Vittorio Älinari e Luigi Beltramelli“ genannt.
Signor Beltramelli, dessen Namen aus Gründen
des Älphabetes, vielleicht auch um anderer Ur-
sache willen an die zweite Stelle gerückt wurde,
hat von der ersten bis zur letzten Zeile das
nicht allzu schmächtige Buch geschrieben, Lob
und Tadel sind an seine Adresse zu richten, er
ist der Äutor des „Ärno“. Und wer ist
der Kommendatore Vittorio Älinari? Wir alle
wissen’s. Der Inhaber des größten italienischen
Photographienverlages, der neidenswerte Be-
sitzer von über zwanzigtausend Klischees. Und
was ist sein Verdienst an diesem Buche (das
nicht durch Zahlen ausdrückbare?). Er gab
Herrn Beltramelli den Auftrag, das Honorar und
die Klischees für die Illustrationen und erteilte
sich auf Grund all dieser Leistungen das Recht,
seinen Namen vor jenen des Autors auf das
Titelblatt zu setzen. „Dies hätte man ehedem
paradox genannt“, heute aber bestätigen es
neun Zehntel unserer kunsthistorischen Litera-
tur: Der Photograph ist der spiritus rector, der
eigentliche Verfasser unserer Bücher und wir
müssen es Herrn Älinari danken, daß er als
der größte zuerst den Mut gefunden hat,
aus einer heimlich schon lange vorhandenen
Situation offen die Konsequenz zu ziehen.

„Wißt Ihr, wie das ward? . . .

Im Heroenzeitalter unserer Wissenschaft, in
den Tagen der Schnaase und Burckhardt waren
die Männer, die damals Kunstgeschichte schrie-
ben, begnadet mit einer genialen Intuition, die
selbst dort, wo Belege mangelten, selten irre
ging, und einem vom reichsten Wissen bedien-
ten Gefühl für die Causalzusammenhänge von
Kunst und Kultur. Kunst bedeutete ihnen die
notwendige Äusdrucksform einer genialen Per-

') Wir erfüllen gerne den Wunsdi unseres verehrten
Mitarbeiters, diesen Aufsatz abzudrucken und damit eine
Diskussion einzuleiten, wenn wir auch von dem
Erfolge seiner idealen Absichten erst dann überzeugt sein
können, falls die hier angeregte Frage durch die Zu-
stimmung möglichst zahlreicher Fachgeuossen der Ver-
o^kli^lun9 d'..h' dem Zusammenschluß des von Dr.
schaeffer gewünschten Kartells nähergerückt wird.

D. Red.

sönlichkeit und diese selbst das Ergebnis oder
den Gipfel einer zeitlich und örtlich fixierbaren
Gesamtentwickelung. In einem Punkte aller-
dings konnten sich die Großen von damals mit
ihren Epigonen nicht messen, in der Kenntnis
des Materiales. Denn ein Besuch entlegener
Provinznester mochte zu jenen Zeiten ebenso
umständlich undschwierigsein,wie heute etwanur
noch die Reise .von Erlangen nach Paris1), und
an guten Photographien gab es keinen Über-
fluß. Als die Reproduktionen an Zahl und an
Qualität Zunahmen, boten sich, auf Grund eines
reicher gewordenen Wissens um das Vor-
handene, die Möglichkeiten einer vergleichenden
Kunstbetrachtung. Än Stelle vielumspannen-
der Synthesen, die notwendig subjektiv sein
mußten, tritt nun jene analysierende Art
des Änschauens von Kunst, die, nach denk-
barster Objektivität strebend, unumstößliche
Tatsachen als Resultat ihrer Arbeit gewinnen
wollte. Die vielverheißenden.Titel verschwanden
allmählich, man begnügte sich mit „Kritischen
Untersuchungen über“ ... „Beiträgen zu . . .“
widmete Künstlern zweiten und dritten Ranges
eingehende Monographien und blickte auf das
Lebenswerk der Ganz-Großen fast nur mehr'
durch die Brille des Spezialforschers. Unser
Wissen um die Kunst, genauer, unsere „Kenner-
schaft“ wurde durch solche eng umgrenzte
Untersuchungen, die in zahlreichen Dokumenten-
publikationen von seiten der Historiker eine
willkommene Ergänzung fanden, natürlich un-
gemein bereichert, aber was darüber verloren
ging, war das feldherrnmäßige Überblicken des
Ganzen von einer hohen Warte aus, war vor
allem die nur dem Synthetiker eigene Fähigkeit
des Schilderns und Darstellens. Das Studium
kunsthistorischer Werke konnte für Menschen,
die auch „mit dem Ohre“ lasen, oft zur Qual
werden, und je mehr eine allgemeine Teil-
nahmslosigkeit an unseren Bestrebungen die
Kunstwissenschaft zur Privatliebhaberei von
ein paar Hundert Leuten degradierte, desto
leidenschaftlicher begehrte man, besonders seit
dem Welterfolge Muthers nach Büchern, die nicht
auf eine einzige Gelehrtenfrage, sondern auf
die vielen vieler Kunstfreunde eine lesbare Ant-
wort enthalten sollten.

*) Siehe darüber Friedrich Haack: Die Kunst des
XIX. Jahrhunderts. 3. Aufl. Eßlingen 1909. S. IX.
 
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