Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

DOI Heft:
22. Heft
DOI Artikel:
Entdeckungen
DOI Artikel:
Vermischtes
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0738

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
710

Der Cicerone

Heft 22

hälften architektonisch wirksam ist, als Ab-
trennung des Mittel- von den Seitenschiffen.
Die „Bilder“ und die Figuren sind offenbar von
verschiedener Hand: die ersteren vertreten den
reinen linearen gotischen Stil, und zwar nodi
ohne die Extravaganzen der letzten, überreichen
Periode, die Figuren sind stilistisch etwa auf
der Höhe der höfischen Darstellungen auf Burg
Runkelstein. In den Zwickeln, Laibungen und
auf den Kreuzrippen sind eine große Anzahl
ornamentaler Motive angebracht, wovon einzelne
figürliche Dinge, Propheten mit Schriftrollen u.dgl.

In den Kapellen ist nur ein kleiner Teil der
Ausschmückung erhalten, u. a. eine der üblichen
Christopherdarstellungen und eine Auferstehung
in Riesenformat, ferner eine Kreuzigung mit
vier Heiligen, vielleicht die feinste Leistung des
ausschmückenden Künstlers.

Eine besondere Erwähnung verdient eine
Malerei in Ratsstuhl, da sie unverkennbare An-
zeichen italienischer Einflüsse aufweist, sowohl
in den an den Ältichierokreis gemahnenden
Gestalten wie in den ornamentalen Motiven.

Interessant ist, daß zwei im übrigen belang-
lose, viel spätere Malereien an einem Pfeiler,
Moses und David darstellend, das Datum 1586
tragen. Sie gehören zu den übrigens nicht schwer
zu findenden Beweismitteln gegen die üblichen
Phrase, daß die Reformation alle Wandmalerei
in der Kirche systematisch ausgerottet habe.

Die Aufdeckung dieser Fresken wird die For-
schung vor eine Reihe wichtiger Probleme stellen.
Der Plan, nach dem die (sehr zurückhaltende)
Ausmalung angelegt ist, der Stil der einzelnen
ausführenden Hände, die Bedeutung mancher
Darstellungen und Details werden von den ver-
schiedenen Gesichtspunkten aus untersucht wer-
den müssen. Unsere Zeilen bezwedcten ledig-
lich, auf das bedeutsame Werk aufmerksam zu
machen und diejenigen Angaben zu machen, die
eine erste und nicht eingehende Besiditigung an
Ort und Stelle nahelegte. — Die künstlerische
Leitung der Wiederherstellung hatte der Maler
Ballin (für die bekannte Frankfurter Firma Linne-
mann). H. Voss.

VERMISCHTES

NOCHMALS DIE FLORABÜSTE IM
KAISER FRIEDRICH-MUSEUM
Von Dr. Herrn. Voss

Es mag noch einige Zeit dauern, bis man
tiefer hinter die Kulissen der sonderbaren Ko-
mödie geschaut haben wird, die uns seit drei

Wochen von jenseit und diesseit des Kanals vor-
gespielt wird. Einstweilen gewinnt man immer-
mehr den Eindruck, als seien die Rollen zwischen
Kläger und Beklagtem ausgewechselt; das un-
motivierte Vorgehen des angreifenden Kunst-
händlers Cooksey wird immer weniger für ein
uninteressiertes Suchen nach Wahrheit ange-
nommen werden können, je unbestimmter seine
Aussagen werden, je heftiger er sich für die
künstlerische Bedeutung dieses kümmerlichen
Bildhauers Lucas einsetzt, den seine eigenen,
jetzt bekannt gewordenen Arbeiten als einen
armseligen Plagiator und Kopisten fremden
geistigen Eigentums ausweisen. Unmöglich, daß
ein „Künstler“, der in seinen „eigenen“ Werken
nichts als eine zwerchfellerschütternde Travestie
Canovas bietet und in seinen zahlreichen Imi-
tationen nicht über ein hartes, peinlich genaues
Nachbilden hinauskommt, nach einem relativ
schwachen malerischen Vorbild eine ganz freie,
künstlerisch eigenartige Büste wie die Berliner
geschaffen habe! Eine derartige Annahme ist
für jeden, der die jetzt in Abbildungen vor-
liegenden Specimina der Lucasschen Kunst
prüft, so absurd, daß durch sie allein die Frage:
Lucas oder Leonardo? müßig und lächerlich
wird. Man fragt sich: Konnte derjenige, der
zuerst den Namen Lucas vor der Büste nannte
— ein Kunsthändler — wirklich so von jedem
künstlerischen Gefühl verlassen sein, um die
Absurdität der Behauptung nicht zu empfinden?
Oder aber, wenn nicht: Wo ist der Schlüssel zu
seinem Vorgehen zu suchen?

Eines haben wir der von Cooksey erzählten
Geschichte der Büste zu verdanken: wir können
sie in sein Atelier bis ungefähr.vor 50 Jahren
zurückverfolgen. Lucas hat an ihr laut einwand-
freier Aussage gearbeitet. Aber hier schon be-
ginnen die Zweifel: ist die Büste, von der die
Rede ist, wirklich die Berliner oder eine ihr im
großen und ganzen ähnliche, ist sie ein Original
oder eine Nachahmung? Nach der von Cooksey
als Beweismittel angebotenen übermalten Pho-
graphie ließ sich diese Frage nicht entscheiden.
Anders stellt sich die Situation vor einem guten
Abzug jener selben Aufnahme dar, die jetzt be-
kannt geworden ist, und die die'Unterschiede
scharf hervortreten läßt. Die Brust ist auf der
Aufnahme bedeckt: aus Prüderie oder weil hier
der wunde Punkt der Lucasschen „Kunst“ war?
Denn angenommen, diese Aufnahme gibt einen
Versuch, die Berliner Büste zu restaurieren wieder,
so lag es nahe, die Brust, auf der die beiden
(abgebrochenen) Arme erst noch zu ergänzen
waren, zu verhüllen. Nur die eine Hand schaut
aus der Draperie hervor: sie ist«Lucas eigenstes
Produkt, anatomisch gänzlich verfehlt, falsch
 
Annotationen