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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

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22. Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0739

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angesetzt und von der jetzt aufgefundenen
letzten Hand verschieden. Aber weiter: auch
Kopf und Hals weisen eine andere, härtere
Mache auf, zumals der Hals erscheint wesent-
lich steifer als auf der Berliner Büste, ferner
sieht man deutlich, daß die Lucassche Büste un-
bemalt war, und daß die Rillen der Haare in
anderen Linien verlaufen. Ja, man darf m. E.
noch weiter gehen: vor jener Aufnahme hat
man nicht den Eindruck, es mit einer Wachs-
büste, sondern mit einer Nachbildung in Ton
zu tun zu haben, jedenfalls bestimmt mit einem
anderen Objekt.1)

Man ahnt nach all diesem, wie sich die beiden
Büsten zueinander verhalten: hier ein altes,
beschädigtes Originalwerk, dort (wie durchweg
bei Lucas) die Imitation, gleichgültig, ob aus
Pläsier geschaffen oder auf Bestellung, ob als
Kopie oder als Hilfsmodell für eine Restaurierung.
Daß Lucas viel restauriert hat, zeigen mehrere
Aufnahmen des Konvolutes mit Photographien
seiner Werke, der jetzt in Berlin aufbewahrt
wird; man sieht bei Antiken des British Museum
— lehrreich genug — das beschädigte Original
und den Restaurierungsversuch des Lucas da-
neben. Wie das Berliner Werk in sein Atelier
bezw. in seinen Besitz — so scheint es! — ge-
kommen ist, wird aus der Geschichte noch nicht
völlig klar. Auch die Rolle des vielberufenen
Buchanan ist nicht ganz enträtselt. Daß die
Büste nicht jahrelang auf offener Veranda ge-
standen haben kann, wie Cookseg behauptete,
wiesen wir schon in der vorigen Nummer nach;
unterdem hat sich dieser Punkt aufgeklärt: die
Büste befand sich wohlverwahrt in Lucas Atelier.
Nur so hat sie einen wesentlichen Teil ihrer
Bemalung retten können.

Nachdem der Roman von Lucas Autorschaft
klälidi Schiffbruch gelitten hat, wird klar, wie
leichtsinnig die Behauptung von Kunstschrift-
stellern ohne jede praktische Erfahrung war,
das Gesicht sei „ganz sicher spät hinzugefügt
worden“. Hätte sich die Büste eine Erneuerung
durch Lucas gefallen lassen müssen, so stünde
sie heute in gänzlich umgearbeiteter, stark ver-
schlechterter Fassung vor uns. Das Schicksal
hat sie vor diesem tragischen Ende bewahrt.
Die Annahme, daß allein das Gesicht von Lucas
„hinzugefügt“ (!) worden sei, verbietet sich von

1 Unterdessen haben Untersuchungen durch photo-
graphische Sachverständige dargetan, daß nur Kopf und
Hals überhaupt nach einem plastischen Gegenstand auf-
genommen sind. Die Draperie, die widersprechende Be-
leuchtungseffekte zeigt, ward hinzugemalt. Da die Auf-
nahme aus technischen Gründen nicht vor dem Ende der
fünfziger Jahre angefertigt sein kann, so war die Büste
damals noch in Lucas Atelier, ein neuer Beweis für die
Unriditigkeit der Cooksegschen Behauptungen.

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selbst, nachdem wir wissen, wie es mit seiner
eigenen Erfindung bestellt gewesen ist. Möglich,
ja wahrscheinlich, daß die heutige Oberfläche
des Gesichts nicht die alte ist, aber um eine
„Hinzufügung“ handelt es sich keinesfalls, son-
dern um eine Glättung oder stellenweise Er-
gänzung.

Wir können den Gegenstand, der ein ty-
pisches Interesse darbietet, hier nicht erschöpfen,
noch darüber heute das letzte Wort sprechen.
Hingewiesen sei aber doch mit dem Ausdruck
des lebhaften Unwillens auf die sachlich unzu-
treffenden, dilettantischen Kommentare mehrerer
größerer Zeitungen, deren Kunstkritiker statt
das Publikum zu belehren und unparteiisch auf-
zuklären, unbewiesene Behauptungen aufstellten
und ihre Betrachtungen mit Dingen verknüpften,
die mit der Frage selber nichts zu tun hatten.
Es ward da bemängelt, die Kaufsumme von
160000 M. sei zu hoch für die Büste, man tue
vielmehr besser, der modernen Kunst größere
Posten zuzuwenden (der in Berlin unverhältnis-
mäßig ansehnliche Summen ausgesetzt sind!);
und als dann Bode selber diesen törichten, un-
überlegten Behauptungen eine vernichtende Kritik
schrieb, äußerte alsbald ein anderes größeres
Blatt in erstauntem Ton: die Pflege der älteren
Kunst habe man Bode gewiß in der ganzen
Presse noch nirgends zum Vorwurf gemacht!

Man könnte viele der „kritisdien“ Auslassungen
über die Büste als Blüten unfreiwilligen Humores
gelten lassen und einer Auslese davon die pa-
pierne Unsterblichkeit gönnen und wünschen,1)
wäre der Fall nicht im Grunde so unendlidi
traurig. Fragen, deren Entscheidung nicht nur
eine gründliche Kennerschaft, sondern auch ein
leidliches Bewandertsein in gewissen Kunst-
händlertriks verlangt, werden von Kunstschrift-
stellern erledigt, deren Wissen auf ganz anderem
Gebiete liegt, und die, wenn sie die Summe von
160000 M. auf dem Budget der alten Kunst er-
blicken, unwillkürlich mit schelem Auge auf die
angeblich arme Nationalgalerie sehen und im
stillen kalkulieren, wie viele Liebermanns oder
Cezannes für den gleichen Preis zu erwerben
gewesen wären. Das Schauspiel, das wir nun
zweimal hintereinander in den meisten der großen
deutschen Blätter erlebt haben, bei der angeblich
gefälschten Wickenblütenmadonna und der Flora-
büste des Kaiser Friedrich-Museums, darf sidi
zum dritten Male nicht wiederholen: das Publi-

0 z. B. der niedlichen Stilblüte eines größeren rheini-
schen Organes, wo von einer „angeblichen Wachsbüste“
die Rede ist. Bezweifelt der Herr, der allda „Welt und
Wissen“ lenkt, daß die Büste wirklich von Wachs ist oder
geht er in seiner Skepsis so weit, überhaupt die Existenz
des Bildwerkes in Frage zu stellen!
 
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