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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 1.1909

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22. Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.24117#0740

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712

Der Cicerone

Heft 22

kum selber sollte für derartige schwierige Affären
der älteren Kunst erfahrene Fachmänner ver-
langen; es geht nicht an diese Aufgabe Leuten
zuzumuten, deren Gebiet die moderne Kunst ist,
und denen es für Fragen wie die vorliegende
an jeglicher Kompetenz mangelt.

* *

*

Zu dem gleichen Thema berichtet noch unser
LondonerRedakteur: Die Zeitungen hier lassen
die Lionardobüstenangelegenheit noch immer
nicht ruhen, und können doch nichts Neues Vor-
bringen, denn niemand von diesen Schreibern
hat die Büste selber gesehen. Die Times ver-
suchte in einem im Ton sehr „fairen“ Artikel
die Sachlage „für in- und ausländische Leser“
kürzlich klar zu legen, brachte aber selber unter
diesem Artikel einen Brief eines Bilderrestaurators,
der eine sehr mögliche, ja wahrscheinliche Lösung
der ganzen Frage gibt, daß nämlich Lucas die
Büste zur Reparatur erhalten habe, und daß
diese Büste dann, wie dies manchmal in solchen
Fällen geschähe, durch den Tod des Auftrag-
gebers oder sonstwie veranlaßt, bei ihm ge-
blieben sei und so später ihre Odysseusfahrten
angetreten habe. Die Morning Post ist fair
genug zu sagen, daß die Qualität der Arbeit
doch als Hauptargument mitzusprechen habe.
Im ganzen aber ist man falscher Weise hier
geneigt, einen in seinen Folgerungen keines-
wegs geschlossenen bloßen Indizienbeweis —
um ein juristisches Gleichnis zu wählen — an-
zutreten und, um im Gleichnis zu bleiben, allein
auf ihn hin den Angeklagten zu verurteilen, ein
Vorgehen, das mit dem gewöhnlichen „fair play“
des Engländers sehr wenig übereinstimmt. F.

8

LONDON -

Am 2. November starb hier der bekannte
Maler W. P. Frith in seinem 91. Lebensjahre.
Er besaß manche der kleineren, tüchtigen Eigen-
schaften unseres Menzel, aber keine seiner
großen. Er war einer der populärsten Künstler
seiner Zeit, und sein „Derby Day“, sein be-
kanntestes Bild, hängt jetzt in der Tate Gallery.

F.

s

LITERATUR

Die Mode. Menschen und Moden im
XVIII. Jahrhundert. Nach Bildern und Stichen
der Zeit ausgewählt von OscarFischel. Text
von Max v. Boehm.

Vor mehr als Jahresfrist erschienen unter den
gleichenÄutorennamen imVerlage von F. Bruck-
mann, München, drei reizende Bände, die
der Mode des XIX. Jahrhunderts galten. Das
Werk hatte eine sehr glückliche Idee zu ver-
wirklichen gesucht, nämlich das Leben eines
Säkulums und der in iljm waltenden geistigen
und sittlichen Tendenzen durch- die intimsten
Dokumente der Kunst in einen ansprechenden
Rahmen zu fassen. Der starke und verdiente
Erfolg ermunterte zu dem gleichen Versuch für
das vorangegangene Jahrhundert. Und man
darf sagen, daß der neue Band, der dem viel-
leicht widerspruchsvollsten Zeitraum der Mensch-
heitsgeschichte gilt, dem Kunstgelehrten und
Amateur noch willkommener sein wird, da das
allgemeine Interesse für das Jahrhundert des
Rokoko nicht nur in den Kreisen der Gelehrten
ausgeprägter ist. So paradox es klingen mag,
die stärkste Resonanz unserer eigenen Zeit er-
leben wir Heutigen in der Vergangenheit doch
nur im XVIII. Jahrhundert. Hier allein wurzeln
die Anfänge unseres modernen Lebens und
seiner vielverzwickten Tendenzen. Nicht umsonst
steht am Schlüsse dieses Jahrhunderts das kurz-
lebige Jahrzehnt der Aufklärung, und nirgends
sind die Lebensenergien aller Kulturvölker in
ihren Prinzipien so eng verwandt wie gerade
an dieser Scheide zweier Weltanschauungen.
Das Zeitalter des Rokoko ist das Jahrhundert
stärkster Paradoxe, das uns vielleicht ohne die
Kunst für immer verschlossen geblieben wäre
Diese Kunst aber — und das ist das ergreifend.
Wunderbare — ersteht nur aus diesem wider-
spruchsvollen Leben heraus. Sie wird den
höheren Gesetzen untertan und beugt sich in
allen ihren Formen unerbittlich unter den Lehren
des Alltags. Wenn sie trotzdem hier und dort
zur hödisten Vollendung kam. so danken wir
das jenen prominenten Persönlichkeiten, die
über dem Leben — künstlerisch wenigstens —
triumphierten.

Kaleidoskopartiger und bunter kann selten
die Kunst ein Bild malen wie diejenige, die in
dem obengenannten Werke zusammengefaßt ist.
Es ist im besten Sinne des Wortes ein amü-
santes Buch, an dem vor allem der Sammler
seine helle Freude haben wird. Nebenbei kann
man hier bemerken, bis zu welchem Punkte in
 
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