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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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Uhde-Bernays, Hermann: Die Neuordnung und die Neuerwerbungen der Alten Pinakothek in München
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0023

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DIE NEUORDNUNG UND DIE NEUERWER-
BUNGEN DER ALTEN PINAKOTHEK IN

MÜNCHEN Von HERMANN UHDE-BERNÄYS

Die allgemeine Erwartung, mit der man nicht nur in München allein der Wiedereröff-
nung der über fechs Wochen gefchloffenen alten Pinakothek entgegenfah, konnte
Geheimrat von Tfchudi überzeugen, wie köftlich und wie verantwortungsvoll die Aufgabe
war, die er fich mit freudiger Initiative geftellt hatte. Wohl mußte er, fchonvor dem Be-
ginn, mit einer empfindlichen pekuniären Einfchränkung rechnen, die ihm nur im Rahmen
des Vorhandenen zu fchaffen geftattete, mußte vor allem verzichten auf bauliche Ver-
befferungen, deren Notwendigkeit längft erwiefen ift. Man darf behaupten, daß diefe ge-
wichtigen Hinderniffe, vor deren Befeitigung jede Umhängung in der alten Pinakothek
als ein Proviforium zu betrachten ift, Tfchudis organifatorifches Talent in der vorzüglichen
Verbindung wiffenfchaftlicher und künftlerifcher Anfprüche zu einer alles Schematifche ab-
weifenden Betätigung herausgefordert haben. Die Qualität des einzelnen Kunftwerkes
entfchied, es follte erreicht werden, fie durch entfprechende Umgebung für den Laien wie
für den Kunftgelehrten zur deutlichen Wirkung zu bringen. Der Eindruck, der fich bei
der Betrachtung der Bilder in der alten Pinakothek nach der Umhängung mitteilt, ift be-
ftimmter und klarer als früher. Die Akzente liegen nach wie vor auf den berühmten Stücken,
aber die verwirrende Formlofigkeit der Maffe hat fich umgebildet in deutlicher Gruppierung
und wohltuender Befchränkung. Durch Äusfcheidung vieles Unbedeutenden ergab fich die
Möglichkeit eines organifchen und lebendigen Zufammenfchluffes. Hier liegt das befondere
Verdienft Tfchudis, deffen Erfolg nicht beftritten werden darf.

Die übermäßige Höhe der in zwei und oft noch mehr Staffeln mit Bildern befetjten
Wände, für deren untere Hälfte das Oberlicht nicht immer genügt, ihre aufdringliche de-
korative Tapete, der fortlaufende Sockel, deffen Vorfpringen jede Abficht, einzelne Werke
auf Augenhöhe zu bringen, ausfchließt — in den Kabinetten außer der erwähnten er-
drückenden Bildermenge der Mangel der Intimität; hier pflegten die Vorwürfe einzu-
feßen, die fich gegen die ehemalige Geftalt der alten Pinakothek richteten. Tfchudi hat nun,
faft in allen großen Sälen, den Sockel durchbrochen, indem er befonders wichtige Werke
auf einem nur wenig vorgerückten und ftoffumkleideten Gerüft in die Mitte der Wand
Ttellt, alfo auch äußerlich die höhere Bedeutung eines Bildes kennzeichnet, an das fich
zu beiden Seiten die übrigen Gemälde, über dem Sockel, anfchließen. So dominieren z. B.
Grünewalds hl. Mauritius und Erasmus im Eingangsfaal, Tizians Karl V. im Saale der ita-
lienifchen Hochrenaiffance. In den deutfchen Sälen hat eine weißgraue Befpannung die
Tapete verdrängt, und ihre neutrale Farbe gibt den Tönen der hier gehängten Bilder end-
lich ihre vollwertige Leuchtkraft. In die zweite obere Reihe find in den großen Sälen wo-
möglich nur Werke gekommen, die ihre Nachbarn durch Format und Kolorit nicht be-
einträchtigen. Tintorettos Gonzagazyklus, früher in Schleißheim, kommt erft jeßtzu feiner
dekorativen Wirkung. Zwifchen den Kabinetten, die zu je vier oder fünf zufammengenom-
men wurden, find Vorhänge angebracht, in dem Seitenteil des Rubensfaales Holzwände
eingebaut, fo daß auch hier kleinere Räume zum genußvollen Studium der Skizzen oder
der reizenden Landfchaften entftanden.

Durch diefe Maßnahmen haben vor allem drei Vorzüge der Umgeftaltung erreicht
werden können: eine grandiofe Steigerung der Bedeutung der Rubensfchen Werke, die
Einheitlichkeit eines Saales der italienifchen Hochrenaiffance, wie er prächtiger kaum zu
finden ift, die koloriftifche Selbftändigkeit der alten deutfchen Meifter. Aber leider hat der

Der Cicerone, II. Jahrg., 1. Heft. 1

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