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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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5. Heft
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Hermens, Willibald: Religiöse Darstellungen von Baudouin: zur französischen Ausstellung der Berliner Akademie
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0183

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RELIGIÖSE DARSTELLUNGEN VON BÄU-

DOUIN. ZUR FRANZÖSISCHEN AUSSTELLUNG DER

BERLINER AKADEMIE Von WILLIBALD HERMENS

Mit 8 Abbildungen auf 1 Tafel

Nicht allzu viele von den Befuchern der Äusftellung am Parifer Plaß werden genauer
auf eine Reihe zierlicher Gouache-Bildchen3 geachtet haben, die zufammen mit allerlei
andern Pretiofen einen Glasfchrank in einem der hinteren Säle füllen. Ich will geftehen,
daß ich den kleinen Dingern wohl auch kein eingehenderes Studium gewidmet hätte, wäre
mir nicht bekannt geworden, welch befonderes kunfthiftorifches Intereffe fich mit ihnen
verknüpft. Dank dem freundlichen Entgegenkommen des Herrn H. de Chennevieres (Musee
du Louvre) ift es nämlich möglich geworden, diefe Miniaturen mit gewiffen literarifch
beglaubigten Schöpfungen des Louis XV. zu identifizieren, deren zuletjt Bouchot in einem
Artikel der Gazette des Beaux-arts (1897) Erwähnung getan, von deren wirklicher Exiftenz
aber niemand eine Ahnung gehabt hatte.

Die befagten acht Miniaturen, deren Darftellungen fämtlich dem engern oder weitern
Kreife der Marienlegende angehören, follenl870 von einem jungen Offizier in Compiegne
gekauft und nach Deutfchland gebracht worden fein; erft 1908 oder 1909 kamen fie aus
Privatbefife an einen Händler, der fie unter dem Namen Fragonards an den jetzigen Eigen-
tümer, Herrn F. von Goldammer in Plausdorf bei Kirchhain (Bez. Caffel), verkaufte. Daß
die Bilder mit Fragonard tatfächlich nichts zu tun hatten, war leicht zu fagen; es fand
fich aber auch auf der Darftellung der Verkündigung, auf dem herabhängenden Blatte zur
Linken, die Signatur des wahren Autors: Baudouin.

Der „peintre des petites maisons“ und heilige Gefchichten! Es fcheint widerfinnig,
und doch gibt es verfchiedene unanfechtbare Belege für des Künftlers Tätigkeit auf diefem
Gebiet. So foll Madame de Pompadour (+1764) laut dem nach ihrem Tode aufgeftellten
Katalog „huit sujets en miniatures, tires par Baudouin du Nouveau Testament, et une
Vie de la Vierge sur velin“ befeffen haben. (Ich zitiere hier die leider nicht wortgetreuen
Angaben von Bouchot; denn der Katalog der vente Pompadour von 1766, von dem die
Bibliothek Doucet in Paris ein Exemplar befijjt, fteht mir nicht zur Verfügung.) Aller
Wahrfcheinlichkeit nach waren diefe Malereien auf Beftellung gefertigt worden. Daß
Baudouin überhaupt für die Marquife gearbeitet hatte, ift hinlänglich überliefert, auch
gewiffermaßen felbftverftändlich: er war der Schwiegerfohn ihres Günftlings Boucher und
der befte Miniaturmaler feiner Zeit. Wunderlich fcheint hier nur der Gegenftand der Auf-
träge. Aber man lefe die ungefähr gleichzeitige Gefchichte von dem Maler Doyen1 2, den
gleich nach Äusftellung feiner „Sainte Genevieve“ im Salon und unter Berufung auf die
Vorzüge diefes Gemäldes ein Hofmann mit jenem feltfamen Antrag beehrte, aus dem
dann in der Folge Fragonards bekanntes Schaukelbild („Les Hazards heureux de l’Escar-
polette“) hervorgegangen ift; da hat man das Gegenbeifpiel. Die franzöfifche Gefellfchaft
jener Zeit war eben in Fragen der Religion und der Moral völlig indifferent, ihre Kirch-
lichkeit ganz unperfönlich, lediglich konventionell. Wenn einer Frivolitäten malte, nahm
ihm die Mehrzahl feiner Zeitgenoffen das gewiß nicht weiter übel; aber man wußte es
zu fchätjen, wenn er fie gut malte. Und andererfeits konnte Baudouins „hieratisme de
circonstance" (wie Bouchot fich fehr hübfch ausdrückt), verbunden mit entfprechendem
malerifchen Vortrag, den Anfpriichen feines Publikums vollauf genügen. So ift es denn
auch bei diefen erften Abfchweifungen des Malers auf religiöfes Gebiet nicht geblieben.

1 Im Katatog unter Nr. 209a, „Miniaturmalereien von Baudouin und anderen“.

2 Aus dem Journal de Colle, wiedergegeben von den Brüdern Goncourt im Leben Fragonards.

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