Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

DOI Heft:
7. Heft
DOI Artikel:
Cohen, Walter: Die Ausstellung alter Gemälde aus Wiesbadener Privatbesitz
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0260

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DIE AUSSTELLUNG ALTER GEMÄLDE AUS WIESBADENER PRIVATBESITZ

rafchung.1 Die durchaus zutreffende Attribution geht auf L. Scheibler zurück, der vor
etwa fechs Jahren das Bild in Wiesbaden gefehen hat. Wenn es, wie der Katalog an-
nimmt, ein Bildnis des vielgemalten Mainzer Erzbifchofs Albrecht von Brandenburg dar-
ftellte, wäre es ein wichtiges Zeugnis für den überlieferten Aufenhalt Scorels am Rhein.
Dem aber ftehen, ganz abgefehen von der Abweichung der Gefichtszüge, befonders des
Mundes, mit überlieferten Porträts des Kirchenfürften, ftiliftifche Bedenken entgegen. Vom
Jahre 1520 ift das berühmte Altarwerk in Obervellach; vorher ift fein Maler nach K. van
Mander in Köln und Speier, in Straßburg und Bafel, vorausfichtlich alfo auch in Mainz ge-
wefen. Das Wiesbadener Porträt zeigt unbeftreitbar einen viel reiferen Stil, den echten
Scorelfchen Stil, der in dem fteiermärkifchen Triptychon noch kaum entwickelt fich dar-
ftellt. Mit der Frühzeit Scorels ift unfer Gemälde nicht in Verbindung zu bringen, da-
gegen zeigt es zahlreiche Analogien mit Bildniffen, die nach dem römifchen Aufenthalt,
in den zwanziger und dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts, entftanden find. In den leb-
haft bewegten Händen und den die Draperie haltenden nackten Engeln erinnert das Bild,
dem eine Reinigung übrigens nottäte, an das gleichfalls in der Scorel-Literatur unerwähnte,
viel großartigere Männerbildnis beim Earl of Pembroke in Wilton Houfe bei Salisbury,
das Waagen einft als ein Werk des jüngeren Holbein befchrieben hat (Treasures of art
in Gr. Britain III. S. 152; Phot. Braun „Holbein“). Für Scorel aber, was es auch mit der
Perfönlichkeit des Dargeftellten auf fich hat, fprechen alle Kriterien; erwähnt feien be-
fonders die charakteriftifchen unruhigen Streiflichter in Geficht und Händen, die faft allen
von dem Utrechter Maler porträtierten Perfönlichkeiten ein eigentümlich-flackerndes Leben,
eine nervöfe Beweglichkeit geben, die uns viel moderner berührt als die Grandezza des
jüngeren Meifters, der von ihm ausgeht und in feinen Frühwerken fich fo eng an ihn an-
fchließt, des Antonis Moro. Die Farben des Porträts find vorzugsweife warmes Rot und
Pelzbraun. Nicht allzufern von Wiesbaden, in Trier, gibt es ein gleichfalls noch un-
bekanntes Scorelporträt im Privatbefiß.

Zu Unrecht dem Scorel zugefchrieben war das anfpruchsvolle figurenreiche Triptychon
Nr. 62, intereffanter durch die Bildniffe auf den Flügeln als durch die Darftellung der
Kreuzigung im Mittelbilde. Der Meifter ift ein Holländer, ungefähr auf der Stilftufe des
C. Engebrechtfzen. Auf dem linken Innenflügel bemerkt man Johannes d. T. mit dem
Stifter und fechs Söhnen, auf dem rechten Petrus mit der Stifterin und acht Töchtern, be-
merkenswert dadurch, daß laut Wappen und Infchriften Vorfahren des jetzigen Befitjers,
des Freiherrn v. Ritter zu Gruenfteyn in Wiesbaden, deffen Familie aus Holland ftammt,
dargeftellt find. Die Außenflügel mit Paffionsfzenen find von anderer, roherer Hand. Die
niederländifche „Beweinung Chrifti“ (Nr. 48) mit Verwendung der heil. Magdalena aus
dem Pradobilde Rogier van der Weydens, aus dem Anfänge des 16. Jahrhunderts, ftimmt
in allem wefentlichen überein mit einem Bilde des Nationalmufeums in Neapel (Phot. Ali-
nari 12100). Aus der reichhaltigen Sammlung des Herrn Prof. Wedewer ftammte das
Bildnis eines laut Infchrift 38jährigen Mannes von Dirck Jacobfz, fehr derb behandelt,
nicht ohne kunftgefchichtliches Intereffe durch die Signatur und die Datierung von 1548.
Jacobfz ift hauptfächlich durch die großen Schüfeenftücke im Reichsmufeum und in der
Ermitage bekannt; Einzelbildniffe find fehr feiten. Das Porträt des Wiener Hofmufeums,
das Ä. Riegl in feiner Studie über das holländifche Gruppenbild noch anftandslos publiziert
hat, wird heute, wie mir fcheint, mit Recht beftritten, das fchöne Männerbildnis mit dem
Totenkopf in der Sammlung von Kaufmann in Berlin ihm nur auf Grund ftiliftifcher Kri-

1 Holz, hoch 0,64, breit 0,545 m.

222
 
Annotationen