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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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11. Heft
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Kühnel, Ernst: Ausstellung von Meisterwerken mohammedanischer Kunst in München
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AUSSTELLUNG VON MEISTERWERKEN MO-
HAMMEDANISCHER KUNST IN MÜNCHEN

MÄI BIS OKTOBER 1910 Von ERNST KÜHNEL

Von allen Veranftaltungen des Jahres wird
keine auch nur annähernd Jo weittragende
Bedeutung gewinnen, wie die Äusftellung mo-
hammedanifcher Kunft, die am 14. Mai in Mün-
chen eröffnet wurde. Es ift wohl charakteriftifch
für die Verftändnislofigkeit, mit der nahezu das
gefamte gebildete Publikum einem derartigen
Ereignis entgegenfieht, daß bisher weder von
wißen fdiaftlicher noch von journaliftifcher Seite
ein bemerkenswerter Verfuch gemacht worden
ift, den idellen Wert der hier aufgeftapelten Do-
kumente islamifcher Kultur einigermaßen zu
präzifieren. Kein Wunder übrigens, wenn man
bedenkt, daß unfere ganze Vorftellung vom
mohammedanifchen Orient im großen und ganzen
noch auf denfelben Legenden beruht, die feiner-
zeit von bramarbafierenden Kreuzfahrern im
Äbendlande verbreitet wurden, und daß die
Kenntnis von der Religion, Gefchichte und Lite-
ratur des Islams über die Kreife derjenigen, die
fich feiner fpeziellen Erforfchung widmeten, kaum
je hinaus gedrungen ift. So überfteigt denn
das Kunftempfinden gegenüber den Erzeugniffen
diefer angeblich fo exotifchen und in Wirklich-
keit uns fo naheftehenden Zivilifation in der
Regel nicht den Grad einer hilflofen Bewunde-
rung, wie fie fich durch die Pracht des Materials
oder die Vollkommenheit der Technik jedem
Sehenden von felbft aufdrängt. Wer indeffen
einigermaßen diefes Gebiet menfchlicher Kunft-
tätigkeit überfchaut, der wird nicht einen Äugen-
blick zweifeln an der eminenten Bedeutung einer
folchen temporären Schauftellung hervorragender
und zumeift unbekannter Denkmäler jener im-
pofanten Stilentwicklung, die durch das ganze
Mittelalter bis in die Neuzeit hinein mit der
unfrigen parallel lief und immer wieder auf das
chriftliche Europa befruchtend einwirkte, die uns
aber in ihrem innerften Wefen bis auf den heu-
tigen Tag fo gut wie unergründlich geblieben
ift. Es ift denn auch das wefentlichfte Verdienft
diefer Äusftellung, daß fie zum erften Male die
mohammedanifche Kunft in ihrer Gefchloffen-
heit, mit all ihren Gipfelpunkten und mit all
ihren Variationen in einem einheitlichen Bilde
vorführt, das an Klarheit und Vollftändigkeit
alle früheren ähnlichen Verfuche bei weitem
übertrifft. So wird alfo hier endlich einmal die
Möglichkeit geboten, von dem gemeinfamen
Charakter der gefamten islamifchen Kunft eine
lebendige Änfchauung zu gewinnen, und die
vagen Begriffe von arabifchem, perfifchem, fala-
zenifdhem, maurifchem Stil u. dgl. genauer zu

faffen, bezw. überhaupt vorerft ihre weitere Ver-
wendbarkeit zu prüfen. Es ift darum befonders
lebhaft zu begrüßen, daß das Material unter
den Gefichtspunkten der neueften wiffenfchaft-
lichen Forfchung geordnet und fo der Löfung
weiterer Probleme in angemeffener Weife vor-
gearbeitet wurde. Einen anderen wefentlichen
Vorzug verdankt diefe Veranftaltung den künft-
lerifchen Kräften, die bei ihrem Zuftandekommen
mitgewirkt haben. Es ift ihnen gelungen, die
Atavismen, unter denen die Orientphantafie des
normalen Mitteleuropäers laboriert, zu über-
winden und den Objekten ein Milieu zu fchaf—
fen, in dem fich die Prinzipien des modernen
Äusftellungsbaues in glücklichfter Weife mit
morgenländifchen Anregungen verbinden, ohne
daß diefe dabei zur ausfchlaggebenden Ingredienz
geworden wären. Mit der üblichen Bazarauf-
machung, in der wir dergleichen Kunftwerke zu
fehen gewohnt find, und die in erfter Linie ge-
eignet ift, einen wirklichen äfthetifchen Genuß
überhaupt nicht aufkommen zu laßen, mußte
einmal endgültig gebrochen werden, und man
kann den Münchenern nur gratulieren, daß fie
diefe Amputation fo gefchickt auszuführen wußten.
Freilich, das Ungeheuer Publikum glaubt fich
dabei um einige hundert Märchen aus Taufend
und einer Nacht betrogen, konftatiert mißmutig
kahle Wandflächen und fparfam befeljte Vitrinen
und wird erft durch die Händlerhalle wieder
verföhnt, in der die gute alte Zauberwelt des
Orients, mit ihrer Farbenpracht, ihrem Harems-
duft und ihren Traumgebilden fo brav auf-
marfchiert ift, wie fie fich fchon den wonne-
trunkenen Äugen unferer Ahnen zu präfentieren
pflegte. Vielleicht ift fo der Anfang damit ge-
macht, der mohammedanifchen Kunft eine falfche
Popularität zu nehmen, um fie auf dem Wege
geläuterten Genuffes in ihren wahren Werten
zu erfaßen.

Ein Unternehmen, das auf fo breiter Bafis
angelegt wurde, bedurfte zu feinem Gelingen
der Mitwirkung öffentlicher und privater Samm-
lungen des ln- und Auslandes, die fich gewiß
nur ungern ihres koftbaren Befißftandes auf
Monate hinaus entäußern mochten. Das Intereffe
an der Sache fcheint aber hier alle Bedenken
befiegt zu haben, denn die Zahl der Äusfteller
überfteigt dreihundert und unter ihnen nehmen
die erfte Stelle einige europäifcbe Fürftenhöfe
ein, deren Leihgaben geradezu als Unika mo-
hammedanifcher Kunftübung gelten und großen-
teils bisher völlig unzugänglich waren. Selten

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