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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0502
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VERMISCHTES

Hat Rubens felbft oder einer feiner Schüler in
feinem Auftrag die Vergrößerung vorgenommen,
fo darf man jedenfalls ficher fein, daß die Qua-
lität der Erfindung und der Malerei in jeder
Weife desMeifters würdig ift; dafür fpricht der
hohe Wert der urfprünglichen Komposition, die
zweifellos, was auch nicht beftritten wird, vom
Meifter völlig eigenhändig gemalt ift.

Beginnen wir, da fich gegen fie die Hauptein-
würfe richten, mit der Unterfuchung der Kompo-
fition. Von vornherein ift feftzuftellen, daß der
Befund des Gemäldes abfolut ficher ergibt, daß die
Hnftückelung rechts weder zur felben Zeit
noch von dem felben Künftler gemacht
worden ift wie die links und daß aus diefem
Grunde alle Folgerungen, die aus der Betrachtung
und Schäßung der Gefamtkompofition hervor-
gegangen find, auf einer falfchen Vorausfeßung
beruhen.

Die Figuren der Kompofition, wie fie fich bisher
zeigte, fteigen unvermittelt vertikal aus einer ftark
betonten Horizontalen auf, fo gebildet wird durch
die Linie des Horizonts der rechts angefeßten
langweiligen Landfchaft, und die noch betont
wird durch den parallel laufenden Hunderücken.
Die Diagonalanjaße der hart nebeneinander
ftehenden, unangenehm divergierenden Lanze und
des Eberrückens, die wieder nur bis zur Hori-
zontalen führen, verftärken den unvermittelten
Eindruck der fich aus der Landfchaft erhebenden
Perfonen. Diefes Gefühl wird noch übertrumpft
durch den Hiatus, der zwifchen der Baumgruppe
rechts und Meleager fich auftut.

Die Änftückelung weift ein Stilgefühl auf, das
erftim fpäteren 17. Jahrh. fich Geltung verfchaffte,
während gerade bei Rubens noch das Prinzip der
ftraffen Zufammenfaffung aller Linien und Kräfte
ein Hauptgrundfaß war, der fich auch vorzüg-
lich in der alten Kompofition ausfpricht. Be-
trachten wir diefe allein, fo haben wir eine ftraffe
Diagonale, gebildet durch das fchwebende Bein
der Ätalante, die Hand, den Eberkopf, den Haar-
anfaß des Meleager und mit ftarkem Akzent
endigend in den Armen der Erings. Verftärkt
wird fie durch die parallelen Richtungen des
Hundekörpers, des Hemdfaumes und des Eros-
armes, während die andere Diagonale, rein durch
bewegende Kräfte betont, ebenfo ftark fühlbar
wird. Eine wundervolle Linie bilden die Um-
riffe der Körper, die oben im Halbrund ab-
fchließend, zur rechten und linken als Gegen-
gewichte die Erinnys und das fchwere Geäft des
Baumes haben, welche zugleich die farbigen
Gegenfäße zu den beiden Körpern bilden. Eine
vertikale Ächfe findet die Kompofition durch den
Amorknaben, deffen Stellung in der Mitte des
Bildes und deffen das Ganze ftüßende Gegen-

wart verurfachen, daß der Eberkopf die ihm ge-
bührende Bedeutung im Bilde erhält.

Über die Qualität der rechten Änftückelung nur
einige Worte: Glaubt man wirklich, daß diefe
beiden Karikaturen der Erinyen von derfelben
Hand feien, wie die ftark leidenfchaftlich emp-
fundene Figur der Rubensfchen Kompofition?
Ferner vergleiche man die Mache bei dem kleinen
Bäumchen neben dem Beine des Meleager mit
den öde und akademifch hingeftrichenen Grup-
pen der Änftückelung! Die Hunde endlich bleiben
an Qualität hinter allem zurück, was Snyders
oder Paul de Vos an folchen Darftellungen je
gemalt haben. Immerhin macht der ftehende
Hund, an dem der Kopf das Befte ift, den Ein-
druck, als fei er aus einer anderen Darftellung
kopiert, was ihm noch einige Haltung verleiht.

Der objektive Befund beftätigt unfere bis-
herigen Ausführungen. Die urfprüngliche Kom-
pofition ift rechts um 101 cm, links um 62 cm
verlängert worden. Die Änfaßlinie ift markiert
und war von jeher markiert, wie fich an der
großen Hanfftänglfchen Photographie von 1876
durch einen an manchen Stellen fichtbaren
Bruch der Farbe nachweifen läßt. Um den
Übergang von der alten zur neuen Farbe
möglichft zu verdecken, ift vielfach mit neuer
Farbe in das alte Bild hineingemalt; doch fehlt
diefer Übermalung ebenfo, wie dem Ängeftückten,
das durch die Rubensfche Technik bedingte
Leben, das durch die durchfcheinende bräunliche
Untermalung hervorgerufen ift. Die Farben der
rechten Änftückelung find fehr glatt und unbe-
forgt handwerksmäßig hingeftrichen. Die linke
Seite zeigt reinfte Kuliffenmalerei. Der Mal-
grund der Leinwand zur Rechten, die eine
andere Bindung aufweift, als die alte, ift eben-
falls weißer Kreidegrund, doch find die Farb-
fchichten bedeutend dünner, als beim alten Stück;
die gefaulte farbige Haltung ift heller. Befon-
ders auffällig ift die geringe Qualität der Malerei
bei der Sonne am Horizont, die in der rechten
Hälfte als leere, glatte Scheibe erfcheint, wäh-
rend vom alten Stück links ein Glühen und
lebendiges Flimmern ausgeht. Geradezu jammer-
voll ift der An faß des Fells von Meleager, bei
deffen Änftückelung fich der Maler nicht einmal
die Mühe gegeben hat, den Ton zu treffen.
Auch am Himmel fißt eine rohe Übermalung der
Wolken mit einem gelben Ton, über der altenFarbe,
der von der Fackel der zweiten Erinys ausgeht.
Bei Gelegenheit der Änftückelung wurde der
Eberhuf rechts unten ins alte Bild hineinge|'eßt.
Wahrfcheinlich zur felben Zeit übermalt wurden
der Strick des Wehrgehängs und die Schwärzen
am Kopf und rechten Bein des Hundes.

Den Zuftand des Bildes mit der rechten Än-

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