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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

DOI Heft:
23. Heft
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Cohn, William: Die Malerei in der ostasiatischen Kunstabteilung der Berliner Museen
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0852

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DIE MALEREI IN DER OSTHSIATISCHEN
KUNSTHBTEILUNG DER BERLINER MU-
SEEN Mit 25 Abbildungen / Von WILLIAM COHN

I.

Wohl niemals im Laufe der Jahrhunderte herrfchte in Europa ein fo intenpves
Intereffe für bildende Kunft wie heute. Werden wir nicht geradezu erftickt und
begraben unter der Maffe der populären und Fachliteratur! Was ift der Erfolg diefer
Aufklärungswut? Das Lefen von Schriften über Kunft, das fcharenweife Wandern in
die Mufeen und Ausheilungen, das Bilderkaufen, ja vielleicht fogar das Produzieren
von Kunftliteratur ift keine fichere Antwort auf diefe Frage. Sind wir wirklich kunft-
empfindlicher geworden und mehr imftande, den inneren rein künftlerifchen Gehalt
eines Kunftwerkes zu erfaffen? Unfere Stellung zur oftafiatifchen Kunft zum Beifpiel
kann gerade nicht als Inftanz dafür gelten. Schon fo oft fiel es mir auf, auch in
Japan und China felbft, daß dem Europäer unter einer Reihe von oftafiatifchen Kunft-
erzeugniffen mit nur feltenen Ausnahmen immer das fchwächfte Werk am meiften
imponiert — das, welches fich am äußerlichften, am roheften in Form und Farbe gibt.
Man mache nicht den Einwand, wir müßten erft tief in das Seelenleben des Oft-
afiaten eingedrungen fein, um feine Kunftfprache zu verftehen. Nein, dem ift nicht
fo — oder nur zum kleinften Teil. Wie es fich von felbft verfteht, erfordert ein
ernfteres Studium folches Eindringen unbedingt. Aber für das erfte Reagieren auf die
vifuellen Schönheiten der fremden Kunft fcheint es nicht durchaus notwendig. Die
äfthetifchen Gefeße der oftafiatifchen Malerei find bis zu einem gewiffen Grade die-
felben, wie die, die wir aus den höchften Schöpfungen europäifcher Malerei ablefen
können. Die Verfchiedenheiten find, von einem allgemeinen Standpunkt aus betrachtet,
nicht Verftändnis hindernd. Denn daß zum Beifpiel die äfthetifche Stellung zur Wirk-
lichkeit im Often eine andere ift als im Weften, füllte wahrlich einen modernen Men-
fchen beim Kunftgenuß nidit vom Wefentlichen ablenken. Die Gefchichte unferer
Kenntnis oftafiatifcher Kunft ift nur eine Gefchichte von Verirrungen. Wehe für Oft-
afien, wenn es anders gewefen wäre. China und Japan fähen fich fonft wohl eines
großen Teiles ihrer Schäße entblößt. Der Oftafiate wird nicht gerade eine befondere
Achtung vor unferem künftlerifchen Feingefühl empfinden. Und Okakura Kakuzö \ einer der
beften japanifcher Kenner öftlicher Kunft, hat auch die entfprechenden, wenig fchmeichel-
haften Folgerungen aus unferer Stellungnahme gezogen. Ich will nicht im einzelnen
verfolgen, wie zuerft oftafiatifche Exportware hochgefchäßt, dann für chinefifche Por-
zellane der leßten Jahrhunderte ungeheure Preife bezahlt wurden, wie fchließlich der
japanifche Farbenholzfchnitt faft religiöfe Verehrung genoß uff. Daß es aber da
draußen im Altertum und Mittelalter eine hohe freie Plaftik gab in Stein, Bronze und
Holz, aus tiefftem religiöfen Gefühl geboren, daß es damals da draußen eine freie
Malerei gab, die in der Landfchaftskunft, in der Kunft konzentriertefter, befeeltefter
Linienführung einen Höhepunkt in der Weltkunftgefchichte bedeutet, davon hörte man
nichts oder nur fehr flüchtige Andeutungen. Wie fpurlos find die Schäße der oft-
afiatifchen Kunftabteilung der Parifer Weltausftellung von 1900 vorübergegangen! Nur
allzu wenige horchten auf. Und die in Oftafien lebenden Europäer haben offenbar
vor allen ernften Äußerungen der fremden Kunft die Augen gefchloffen. Dabei hätten
doch die fo lange in Europa bekannten japanifchen Kunftpublikationen „Kokka“ und

1 Okakura Kakuzö, Moderne Probleme der Malerei. Kiel, 1907.

Der Cicerone, II. Jahrg., 23. Heft. 57

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