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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0683

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PERSONALIEN

PERSONALIEN

JOSEPH ISRAELS f Im Haag ift am
12. Auguft der 87jährige Meifter Jofeph Israels
geftorben, mit dem Holland [eine bekanntefte
künftlerifche Perfönlichkeit verliert. Raftlos hat
er bis zu [einem Lebensende gcfchaffen, die
Zahl [einer Werke ift Legion und es gibt kaum
ein bedeutendes Mufeum der Welt, das nicht
mindeftens ein Werk des berühmten Nachfahren
Rembrandts befäße. In den Privalgalerien
Amerikas ift er nicht minder vertreten wie in
den bekannten europäifchen Sammlungen, in
denen die moderne Kunft eine Sammelftätte
hat. Er war populär wie kaum ein anderer
lebender Künftler, populär dank der zahllofen
Vervielfältigungen feiner Werke und ihrer meift
befonderen fentimentalen Note, die nicht immer
künftlerifch war. Ob man ihn im ganzen nicht
doch ein wenig überfchäßt hat, ob fein Nach-
ruhm in der Kunftgefchichte wirklich fo gefichert
fein wird, wie es in diefen Tagen die Nekrologe
verkünden? Es darf bezweifelt werden. Denn
eine bahnbrechende Perfönlichkeit, ein Führer
im eigentlichen Sinne ift er ihm Rahmen der
modernen Kunft nicht gewefen. Aber er war
ein vortrefflicher Maler, der als kluger Epigone
der größten malerifchen Epoche dem vornehmften
Beifpiel in der Kunftgefchichte feiner Heimat
nachzuftreben [ich mühte, Rembrandt. Mit deffen
Ruhm ift auch er emporgeftiegen. Die Welt er-
kannte mit Recht eine beftimmte Verwandfchaft
in der künftlerifchen Art des alten und des mo-
dernen Meifters, aber fie überfah auch zu oft
die klaffende Differenz im Genialen, durch die
der fleißige nachempfindende Israels himmelweit
von feinem großen Vorbild getrennt war. Selbft
aus den kleinften Verhältniffen hervorgegangen,
wurde er der Apoftel der Ärmften im Volke
und Bilder wie das berühmte Gemälde „Ein
Sohn feines Volkes“ im Amftcrdamer ftädtifchen
Mufeum und fo viele andere mit fentimentalifchen
Titeln, die an die Rührung der breiten Maffe
appellierten, haben ihn fchnell bekannt ge-
macht. Das Gegenftändliche, das die Welt be-
wunderte, ift wohl das am wenigften Künftle-
rifche in Israels Oeuvre, aber ohne die Themata
wäre er nie der Israels geworden, der unwill-
kürlich in unferer Erinnerung auflebt, fobald
fein Name genannt wird. Da fehen wir die
Geftalten des Amfterdamer Ghetto, die enterbten,
rechtlofen, portugiefifchen Juden, die doch auch
Menfchen find, fehen fie in ihrer rührenden, arm-
feligen Menfchlichkeit — fehen die verlaffene
Gattin weinend am Bette des Mannes, die kranke
Mutter mit dem tiefen von Ahnung erfüllten

Schmerz, der aus Kindes Augen fpricht — er-
blicken auf Schritt und Tritt den graufamften
Kampf ums Dafein. Und etwas Biblifches, Alt-
teftamentarifches taucht in der Erinnerung auf,
ähnlich wie bei Rembrandt, mit dem ihn auch
in diefem Punkte ein inneres Gemeinfames ver-
band. Was immer Israels an Motiven ver-
körpert, er gab es mit jener inneren Liebe, die
gerade bei ihm etwas Apoftolifches hat und
wenn er auch nicht immer überzeugend wirkt,
fo hatte das feinen Grund in der mangelnden
Kraft zur Geftaltung des wahrhaft Tragifchen.
Er war in feinem Wefen mehr Epiker und, fo
bitter es gerade jeßt klingen mag, manches feiner
weltberühmten Bilder dankt feinen großen Er-
folg einzig und allein jenem Gehalt von Senti-
mentalität, die hart am Unkünftlerifchen ftreift.
An Rembrandts Werken, dem er fein Leben
lang nachzufolgen glaubte, wird einem diefe
Tatfache offenbar. — Etwas anderes freilich ift
es um den Maler Israels, der immer dort zur
vollen Größe empor|teigt, wo er der Natur un-
mittelbar zu Leibe geht, der langfam auch die
Technik der Alten überwinden konnte und ähn-
lich wie Liebermann dem Impreffionismus der
Moderne eine neue Handfchrift dankt, ohne felbft
ausgefprochener Impreffionift zu fein. Er wurde
ein Meifter malerifcher Technik der [ich noch in
feinen leßten Werken auf der vollen Höhe feiner
unbegrenzten Könnerfchaft zeigt. Als folcher er-
weift er [ich vor allem auch in den pracht-
vollen vor der Natur entftandenen Zeichnungen
und den Radierungen, die indes weniger zahl-
reich find. Ift es ihm alfo im Rahmen der
Entwicklung nicht befchieden gewefen, eine
neue Miffion zu erfüllen, gehört Israels auch
nicht zu den prominenten Perfönlichkeiten der
Moderne, fein Werk wird ihm immer einen
Plaß in der Kunftgefchichte des 19.Jahrhunderts
fi ehern.

Israels war am 17. Januar 1824 in Groningen
geboren und hat feine Lehrzeit bei Krufemann
in Amfterdam und bei Picot in Paris durch-
gemacht. Urfprünglich wandte er [ich derHifto-
rienmalerei zu, die aber bald durdi das Genre
abgelöft werden follte. Seit 1870 war er dau-
ernd im Haag anfäffig.

Nicht alles, was er gefchaffen, ift von der
höchften künftlerifchen Qualität gewefen, aber
das Befte feines ungeheueren Lebenswerkes
wird [ich auch noch behaupten, wenn man hifto-
rifch die Zeit, in der [ich feine Kunft erfchöpfte,
nur als eine Übergangsepoche erkannt haben
wird, die mit Konfequenz auf die neuen künft-
lerifchen Ausdrucksformen des 20. Jahrhunderts
hingeführt hat. G. B.

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