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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911

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23. Heft
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Biermann, Georg: Hugo von Tschudi
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https://doi.org/10.11588/diglit.24118#0954

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HUGO VON TSCHUDI f

In einem Sanatorium bei Cannftadt ift in der Nacht vom 23. zum 24. November Hugo
von Tfchudi im 61. Jahre feines Lebens dahingegangen. Unerwartet und viel zu
früh für die, welche ihn verehrten, faft unerfeljlich für die Verwirklichung all der
Pläne, die feiner reorganifatorifchen Tätigkeit als Direktor der Kgl. Bayrifchen Staats-
galerien Vorbehalten waren. — Vor kaum mehr als zwei Jahren war der ehemalige
Leiter der Nationalgalerie, ein Opfer feiner künftlerifchen Überzeugungstreue und feiner
leidenschaftlich ftarken, auf Fortfehritt gerichteten Seele, nach München überfiedelt und
die Neuordnung der alten Pinakothek war das erfte glänzende Zeugnis feines bewußten
künftlerifchen Willens. Hier, auf einem faft fteril gewordenen Boden hat feine Intelli-
genz unvergängliche Werte geprägt; ein neuer frifcher Zug kam mit ihm in die etwas
dumpfe Ätmofphäre der bayrifchen Mufeumswirtfchaft und der Beobachter des künft-
lerifchen Lebens in der füddeutfehen Hauptftadt empfand felbft dort noch den Zauber
feiner Perfönlichkeit, wo es fich um Dinge handelte, die gar nicht mehr mit feiner amt-
lichen Tätigkeit im Zufammenhang ftanden. Wie eine große Selbftverftändlichkeit
fchien fein Name Programm zu fein in der von klaffenden Gegenfätjen erfüllten Kunft-
politik unferer Tage, und fo fehr man ihn auch befeindete wie man ihn auf der anderen
Seite vergöttert hat, es lag in diefer ariftokratifch-vornehmen Natur etwas, das unwill-
kürlich zur Diftanz nötigte, das immer auch dort Bewunderung heifchte, wo man in
feiner eigenen Überzeugung nicht unmittelbar der Seinigen begegnen konnte.

Tfchudis Leben ift von einem Hauch heimlicher Tragik erfüllt gewefen, nicht weil
er jahrzehntelang gegen ein furchtbares körperliches Leiden zu kämpfen hatte, das fo
manchen anderen zu verzagender Resignation verdammt haben würde, fondern weil
diefe Summe von Intelligenz und Energie immerfort an den kleinlichen Widerftänden
jener Welt Schiffbruch litt, in der die große Perfönlichkeit längft keine Stätte mehr
findet, weil er felbft in München, wo man fo wundervolle Proben feines kurzen
Schaffens vor Äugen hatte, nie von den Intriguen und den Machenfchaften feiner
Gegner verfchont geblieben ift und weil ihm felbft der Tod die Vollendung eines Werkes
nicht vergönnt hat, an das fich notwendigerweife eine neue Ära in dem mufeal-künft-
lerifchen Leben unferer Gegenwart hätte knüpfen müffen. Denn Tfchudis Perfönlich-
keit war bereits in der kurzen Zeit feines Münchener Wirkens bahnbrechend geworden,
und wie ftark fein Auftreten auch in der lebendigen Kultur unferer Zeit empfunden
wurde, hat erft kürzlich der erbitterte Kampf im diesfeitigen und jenfeitigen Lager der
deutfehen Künftlerfchaft bewiefen, der ohne Tfchudi vielleicht überhaupt nicht vom
Zaune gebrochen worden wäre.

So foll München in erfter Linie um den Tod diefes Mannes Klage führen, aber
darüber hinaus betrauern ihn alle, die für das Werden unferer Kunft Verftändnis be-
fitjen und dem Fortfehritt freie Bahn fchaffen wollen, der in diefem Gelehrten feinen
beften Apoftel hatte. Einerlei, wie man fich dem Wollen diefes Geiftesariftokraten
gegenüber ftelleu mag, ob man unbedingt alles, was er als treibende Kraft angeftrebt,
unterfchreiben will oder nicht, in dem Moment, wo fein Tod eine kaum zu erfetjende
Lücke in unfere Kultur reißt, muß man der Bewunderung freieften Lauf laffen und
allein an das erinnern, was heute fchon als hiftorifch wertvoll angefprochen werden
kann. Nicht der Kunftgelehrte von einer geradezu erftaunlichen Vielfeitigkeit feiner

Der Cicerone, III. Jahrg., 23. Heft. 68
 
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