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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

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12. Heft
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Biermann, Georg: Eine wiedergefundene Voltaire-Büste von J. Antoine Houdon
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https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0510

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EINE WIEDERGEFUNDENE VOLTAIRE-BÜSTE VON J. ANTOINE HOUDON

SÄINT-ÄUBIN, Stich nach der Büfte Voltaires
von J. Ä. Houdon

kann an diefer Stelle zum erftenmal publiziert
werden. Wer zum Vergleich den nicht eben
meifterlichen Stich von Saint-Äubin heranzieht,
wird kaum einen Moment darüber im Zweifel
fein können, daß unfere hier abgebildete Vol-
taire-Büfte einzig und allein als Vorlage für die
Zeichnung und den Kupferftich des franzöfifchen
Graveurs in Frage kommt, und daß das geringe
Maß von Äbweichung, was vielleicht auf Koften
der talentloferen Nachzeichnung der Kontur von
feiten des Kopiften geht, dem Geifte Voltaires
eher fchadet als nützt. Dennoch befteht auf den

erften Blick bereits die abfolute Ähnlichkeit und
nach Maßgabe aller fonftigen Vergleichsmöglich-
keiten kann Saint-Äubin mit der Unterfchrift
„dessine et grave . . . d’apres le buste fait par
Houdon“ nur diefe eben wieder entdeckte Mar-
morbüfte des Meifters gemeint haben.

Die aber hat eine nicht unintereffante Ge-
fchichte, die an diefer Stelle ebenfalls mitgeteilt
zu werden verdient: Bei der Vente Houdon vom
Jahre 1795 figurierte diefe Büfte im Katalog als
Nr. 79 mit der Bezeichnung „Le buste de Vol-
taire, tete nue, en marbre et pose sur piedouche
en marbre bleu turquin“. Sie wurde damals
nach England verkauft und kam in den Befiß
desPrince ofWales, nachmaligen König Georg IV.,
der fie der königlichen Sammlung in Windfor
einverleibte. Diefer Fürft machte mit feinen
Hofjuwelieren Rundeil & Bridge gern Taufchge-
fchäfte, und bei einer folchen Gelegenheit ge-
langte die Voltaire-Büfte in die Sammlung des
John Bridge, nach dejjen Tode fie 1831 durch
Erbfchaft an den Nejjen John Gawler Bridge
überging. Äls kürzlich der Nachlaß der Tochter
des letztgenannten Befiijers verfteigert wurde„
kam fie wieder zum Vorfchein und wurde von
dem Parifer Kunfthändler Ch. Brunner erftanden.
Sie ift vollbezeichnet und datiert und verewigt
den großen Philofophen im Jahre feines Todes
mit einer realiftifchen Treue, wie fie in diefer
Zeit vielleicht einzig ift.

Nicht der ftereotyp gewordene Voltaire der
repräfentativen Faffung in Hllongeperrücke,
deffen Oberkörper ein nichtsfagendes Gewand
verhüllt, fondern diefer Kahlkopf mit der hohen
freien Stirn, den fpärlichen Haaren und der in
Falten gelegten Phyfiognomie, die fich unter dem
Eindruck eines wohlgelungenen und fcharf ge-
fchliffenen Bon-mots zu einem faft gutmütigen
Lächeln verzieht, fcheint einen Hauch jenes
Geiftes auszuftrahlen, für den kein Geringerer
als Friedrich der Große das ftolze Beiwort eines
„fils d’Äpollon, Homere de la France“ gefunden.
In diefer Büfte erleben wir den Spötter Voltaire
im leßten Äufflackern feines Genius. Sie ift
von allen Werken Houdons vielleicht das fym-
pathifchfte, weil es fich reftlos mit dem Geifte
unferes Jahrhunderts deckt. G. B.

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