Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 4.1912

DOI Heft:
24. Heft
DOI Artikel:
Prinzipien und Personen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.25673#0974

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
PRINZIPIEN UND PERSONEN

DAS EBBE TSCHUDIS

Was feit Wochen in Fachkreisen bereits bekannt
war, haben kürzlich die Zeitungen betätigt, daß
Toni Stadler, der Münchner Land[chafter, die
Nachfolge Hugo von Tfchudis als Leiter der
bagrifchen Staatsfammlungen antreten foll. Da-
mit fcheint alfo endlich die ErbSchaftsfrage ge-
löst, die Sich an TSchudis Tod geknüpft, und im
Sinne der heute in München gebietenden Partei-
politik der Stein der Weifen gefunden zu fein.
— Darum alfo die Monate hindurch anhaltende
Spannung, das ängftliche Verhandeln mit dem
Direktor der öfterreichifchen Staatsgalerie (der
klug genug war, abzulehnen), die hin und wieder
emportauchenden Gerüchte von der Berufung
diefes oder jenes anerkannten, faft immer nord-
deutschen Fachmannes, darum die ganze faft
komödiengleiche Geheimnistuerei, um endlich
zu einem Ergebnis zu gelangen, wie es bla-
mabler kaum möglich war. Ja, es muß offen
gefagt werden, daß diefe Nachfolgefchaft Tfchudis
doppelt beklagenswert ift, erftens, weil fie er-
fchreckend dartut, wie gering man in Bayern
den Wert jener Persönlichkeit und ihrer kurzen
unurnftößlidien Verdienfte eingefchäßt hat, die
man fich vor kaum drei Jahren von Berlin weg-
geholt hat, mit deren Namen man noch haufieren
ging, als der Orkus längft den Geift des großen
Mannes zu fich berufen hatte —, zweitens aber,
weil diefer Ernennung eines Nichtfachmannes,
dem man fonft noch fo fehr taufend Tugenden
nachrühmen mag, das Odium jenes üblen Cliquen-
wefens anhaftet, das das Münchner Kunftleben
feit mehr als drei Dezennien beherrfcht und am
wirklichen Fortfehritt immer zu hindern ver-
fucht hat. Stoiker, die die Verhältniffe in jener
Süddeutfchen Kunftmetropole feit langem be-
obachtet haben, fagen heute „fo mußte es
kommen“, denn Tfchudis Erfolge vor der Öffent-
lichkeit hatten längft dargetan, daß ihm in
einer Stadt wie München der Boden unter
den Füßen wankte, daß der Tod ihn vielleicht
in einem glücklichen Moment vor einem Kampfe
bewahrt hat, dem feine ariftokratifche Natur
niemals gewachfen gewefen wäre. Kann aber
diefes offene Eingeftändnis des Beftehens troft-
lofer Verhältniffe in der bayrifchen Mufeums-
und Kunftwirtfchaft überhaupt eine Entschuldi-
gung für die eben getroffene Entfcheidung fein?

Berlin hat in diefem Moment wieder einmal
die Lacher auf feiner Seite und des können auch
wir uns nur aus ganzem Herzen freuen; denn
wo in dem Kulturkampf unferer Tage folche
Gegenfäße offenbar werden, gewinnt auch der
extremfte Fortfehritt an Sympathie, fo wenig er
diefe auch im einzelnen verdienen mag.

Indes, wir wollen bei aller Bitterkeit gerade
an diefer Stelle fo gerecht wie möglich fein.
Man fagt, daß Toni Stadler ein Mann von hoher
Kultur und reicher Erfahrung fei, als Sammler
im befonderen hochgefchäßt und nicht ohne
jene Concilianz, die für einen folchen Poften
unumgänglich nötig ift. Man rühmt ihm auch
eine gewiffe Freundfchaft mit Tfchudi nach, die
ihm vielleicht in den Äugen der Allgemeinheit
die Berechtigung geben mag, deffen Erbe an-
zutreten — fachlich haben alle diefe Momente
mit der von der bayrifchen Regierung beabsich-
tigten Entfcheidung fo gut wie nichts zu tun.
Wir ftehen auch durchaus nicht auf jenem ver-
knöcherten Standpunkt, daß nur ein durch feine
Tätigkeit amtlich und offiziell abgeftempelter
Fachmann berufen fei, die Leitung einer fach-
männifchen Aufgabe zu übernehmen; im Gegen-
teil hat die Gefchichte oft genug dargetan, daß
perfönliches Genie und ftarke Initiative für Auf-
gaben mit weitgefteckten Zielen mehr wert find
als irgendwelche noch fo folide fachliche Vorbil-
dung, die nicht durch den Willen der Perfön-
lichkeit getragen ift. Aber gerade diefe Mo-
mente treffen auf einen Mann wie Stadler nicht
zu. Mag fein, daß ihn die Anregungen, die
er im Verkehr mit Tfchudi empfing, eine Zeit-
lang über Waffer halten werden — im Grunde
aber ift doch derMenfch gerade hier imKünftler
viel zu deutlich ausgeprägt, als daß man ihm
ohne weiteres eine Lebensarbeit übertragen
dürfte, für deren Erfüllung ganz andere Quali-
täten Vorausfeßungen find. Man darf wohl nicht
fo weit gehen und fagen, daß in Stadlers klein-
lich künftlerifcher Auffaffung auch die Persönlich-
keit dokumentiert fei, aber im leßten lebt doch
gerade der Künftler in feinem Werk und Stadler
felbft wird viel zu genau wiffen, daß er feine
Berufung einzig und allein einer kunftpolitifchen
Konftellation zu danken hatte, die in Bayern an
Stelle des durch Tfchudi verkörperten Fort-
fchrittes die Reaktion ans Ruder gebracht hat.
Nicht die fo oft erörterte Prinzipienfrage, ob
ausübende Künftler zu Galeriedirektoren berufen
feien oder nicht (die immer müßig fein muß,
weil es allein auf den Erwählten ankommt),
würde hier der Ernennung ihr Signum vor der
Öffentlichkeit geben, fondern vielmehr die Tat-
fache, daß diefe Wahl unter Hintanfeßung der
vitalen künftlerifchen Intereffen und mufeums-
technifcher Fragen (für die allerdings nur ein
Mann von Fach zuftändig fein kann) unter dem
Druck einer leider allmächtigen Clique erfolgt ift.
Denn wie in Fachkreifen wohlbekannt ift, (ollen
fich die drei leitenden Mufeumsbeamten, welche
derKommiffion angehören, ausdrücklich und prin-
zipiell gegen die Berufung Stadlers ausgefprochen

930
 
Annotationen