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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 8.1916

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Heft 7/8
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Friedeberger, Hans: Eine altgriechische thronende Göttin im Berliner alten Museum
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https://doi.org/10.11588/diglit.26378#0151

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EINE ALTGRIECHISCHE THRONENDE
GÖTTIN IM BERLINER ALTEN MUSEUM
Von HHNS FRIEDEBERGER
T^ie Berliner Mufeen haben für ihre Antikenfammlung ein Werk erworben, das unter
L^ den bisher bekannten Biidwerken des Aitertums einzig dafteht. Es ift die etwas
überlebensgroße Figur einer thronenden Göttin, ein Kuitbiid aus einem Tempei. Wer
fie ift, woher fie ftammt, ift voriäufig noch nicht zu fagen. Auch die Mitteilung des
Mufeums gibt einftweiien nur an, daß der Fundort „im Bereich der einftmais von
Griechen befiedeiten Teile von Unteritaiien oder Sizilien zu hegen fcheint." Ob das
Bildwerk hier aus einem eingeführten Block griechifchen Infelmarmors entftand, oder
ob es als fertiges Kunftwerk aus dem Mutterlande nach Großgriechenland gebracht
wurde, ift eine weitere Frage, die fich einftweiien auch nicht beantworten läßt.
Die Göttin ift in ftrenger Vorderanficht gegeben, die Arme in rechtem Winkel er-
hoben (die verlorenen Hände hielten das Attribut der Göttin), die Knie gleich hoch, die
Falten des dreifachen Gewandes und des darüber gelegten Mäntelchens fymmetrifch
angeordnet. Sie ift mit dem fchönen Throne und der Fußbank aus einem gewaltigen
Block eines fehr großkörnigen Marmors gearbeitet, der entweder von der Infel Paros
oder, was einige Sachverftändige mehr befürworten, von Naxos ftammt. Von der
Rückwand, den Füßen und den Seitenwangen des Thrones fehlen einige Teile, ebenfo
ift die Fußbank befchädigt. Einiges davon ift noch vorhanden und kann wieder an-
gefügt werden. Sonft ift das Werk bis auf Abfpiitterungen der rechten Gefichtshälfte,
ganz außergewöhnlich prachtvoll erhalten, fo gut, daß die verfchiedene Oberflächen-
behandlung der Teile und fogar noch Spuren ehemaliger Bemalung deutlich zu er-
kennen find. Das Haar ift in einer Haube aufgenommen und von einem Diadem ge-
halten. Hinter den Ohren löfen fich auf jeder Seite drei dünne, forgfältig vom Block
losgearbeitete Zöpfe ab, die vorn über die Bruft herabfallen. Die Ohren und das
Stirnband zeigen Bohrlöcher, die wohl zur Aufnahme von Bronzefchmuck gedient haben.
An der Figur felbft find Bemalungsfpuren nur fehr karg erhalten, ganz deutlich nur
an dem linken Auge, wo man die Konturen des Augapfels feftftellen kann. Reichlicher
find die Refte am Thron, wo fich auf der Rücklehne deutlich ein Rautenmufter und an
den Leiften des Si^brettes fchöne und zierliche Akanthuspalmetten wahrnehmen laffen.
Wenn man darauf aufmerkfam gemacht wird, glaubt man auch an der einzig erhaltenen
hinteren Thronftü^e Spuren aufgemalter Voluten zu finden, die dann das Gegenftück
zu den plaftifchen gebildet hätten, mit denen nach der Vermutung der Archäologen
die vorderen Stützen geziert waren. Getragen wird der Thron durch einen in der
Mitte untergefet)ten Block, den zur Zeit völliger Erhaltung die Thronftü&en mit ihrem
Schatten verdeckten.
Sieht man fich nach Verwandten der neuen Figur um, fo bieten fich fofort die
Mädchenbilder an, die unter dem „Perferfchutt" der Akropolis gefunden wurden. Da-
mit ergibt fich für die zeitliche Anfettung der Berliner Figur, daß fie vor den Perfer-
kriegen entftanden fein muß. Es wird nun darauf ankommen, wo man fie fich ent-
ftanden denkt. Denkt man an das italifch-fizilifche Gebiet, fo wird man nicht weit
unter 480 heruntergehen dürfen. Stammt aber das Werk aus dem Mutterlande, fo
wird es eher um die Wende des 6. Jahrhunderts gefegt werden müffen.
Eine beftimmte Antwort auf diefe Fragen erfchwert, fo lange man über Fundort und
Herkunft nichts näheres weiß, der Umftand, daß wir es hier mit der Leiftung eines
Künftlers zu tun haben, der zu den größten feiner Zeit gehört haben muß. Gerade

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