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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 5/6
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0161

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eben auch Vertrauen zu [einem eigenen Blick
und Gefühl, muß Verantwortungsgefühl genug
bepgen, um es allein und ohne Schildhalter zu
wagen; [onft [oll er es lieber ganz bleiben laßen.
Bei der Frage der Darbietung des Bepgftandes
liegt das Problem für die Nationalgalerie darin,
der Übervölkerung abzuhelfen, für die Kunft-
werke neue Räume zu erfchließen, die zudem
beffer als die alten ihrer Äufgabe entfprechen.
Jufti kommt hier auf feinen alten Plan zurück,
die Sammlung in zwei Geile zu zerlegen. Die
CiQerke der 3eit bis etwa 1870 würden dabei
zunächft in dem alten Bau bleiben, deffen Räume
für fie wieder in den urfprünglichen 3u[tand
verfemt würden, die neuere Kunft, etwa vom
Impreffionismus an, füllte ein neues, zweck-
mäßig gebautes fjaus bekommen. Sollte das
einftweilen nicht befchaffbar fein, fo wird als
3wifchenzuftand Überfiedelung der zweiten Äb-
teilung in eines der freigewordenen Schlöffer
vorgefdjlagen.
Der Plan befticht durch die Einfachheit» mit
der er auszuführen ift. ünd es läßt fich auch
nicht leugnen, daß der Einfcßnitt an der ge-
nannten Stelle unfdjwer und ohne Gewaltfam-
keit gemacht werden könnte. Er käme auch
dem alten, in pch einheitlichen und ehrlichen
Strackfchen Bau zugute, dem weder die noch
von der Jahrhundertausftellung her erhaltenen
Einbauten in den Kabinetten des zweiten Stockes,
noch gar die Veränderungen im Erdgefchoß
und in den Corneliusfälen zum Segen geworden
find. Äber ich werde auch bei diefer Löfung
das Gefühl des Vorläufigen nicht los. Man zer-
reißt doch fchließlich einen lebenden Organismus
und verewigt (und erweitert) einen grotesken
3uftand, der zurzeit darin fich ausdrückt, daß
Graff und Goya teils im Kaifer-Friedridb-Mufeum
hängen, und teils in der Nationalgalerie. Der
3?it nach gehören fie unzweifelhaft ins Kaifer-
Friedrich-Mufeum, und doch kann man pe auch
an der anderen Stelle nicht entbehren. Dazu
kommt, daß ja die Nationalgalerie keineswegs
etwa nach rückwärts nicht mehr erweiterungs-
fähig wäre. Es bleibt zuletzt doch ein entwick-
lungsgefchichtlicher ünfinn, einen Einfdjnitt nach
Jahreszahlen zu machen. Das Verdienft der
„Jahrhundertausftellungen“, der Berliner und der
Darmftädter, lag ja zumeift gerade darin, daß
fie über alle trennenden zeitlichen Linien hin-
weg die Einheit und Gnaufhörlichkeit der künft-
lerifchen Entwicklung zeigten. Und da ich
glaube, daß man Projekte fo ideal wie möglich
geftalten foll — fchon weil ihnen von der Klirk-
lichkeit ja doch die Federn befchnitten werden
— fo meine ich: die Beftrebungen zur ümge-

ftaltung der Nationalgalerie füllten darauf hinaus-
laufen, eine Sammlung zu fchaffen, die etwa
vom Ende des 17. Jahrhunderts ab die deutfehe
Kunft zeigt, bis auf unfere Gage. ünd zwar
hätte diefe Sammlung fich in zwei Geile zu
gliedern: Die Schaufammlung, die mitdenbeften
und bezeichnendften Klerken die Gipfellinie der
Entwicklung lückenlos und eindrücklich nach-
zieht, und die Studienfammlung, die den Stoff
für Forfchungen zufammenträgt und darbietet.
Äus ihr könnten dann jeweils Sonderprobleme
in wechselnden Äusftellungen zur Änfcpauung
gebracht werden. Freilich müßten dazu die
Beftände der Nationalgalerie erweitert werden,
durch Übernahme deffen, was jegt noch im
Kaifer-Friedrich-Mufeum ift, und vor allem
durch Ankäufe die die vielen Lücken im Bepg
der Kunft des 18. und des frühen 19. Jahr-
hunderts füllten. Äuch die Kunft der germa-
nifdjen Nachbarländer gehörte hierzu.
Und das Gebäude der Nationalgalerie? Es
brauchte nicht verloren zu gehen. Schon vor
Jahren ift von anderer Seite der Vorfdßlag ge-
macht worden, es zu einer Skulpturenfammlung
auszugeftalten, damit auch die Sammlungen, die
die Namen Rauch und Schinkel tragen, und die
heute „in partibus inpdelium“ ein verfchwiegenes
Däfern führen, wieder zu Leben und Geltung
kämen. Bei diefer Löfung würde aud) die ur-
fprünglid)e Raumform der Nationalgalerie, von
allen fpäteren Neu- und Einbauten befreit, am
reinften zur Geltung kommen, önd aud) die
anderen Mufeen würden froh fein, fo ein wenig
Bewegungsfreiheit zu erhalten.
Mit diefen Gedanken für den Ausbau der
Nationalgalerie ift nun ein Punkt berührt wor-
den, an dem die Denkfd)dft vorbeigeht, und der
lebten Endes freilich auch über ihren Kreis hin-
ausgeht. Jufti nimmt ohne weiteres an, daß die
Nationalgalerie eine Angelegenheit des preußi-
fchen Staates bleiben wird. Rechtlich ift das ohne
Weiteres berechtigt, denn pe gehörte der Krone
Preußen. Äber eine Sammlung, wie pe in den
obigen Plänen fkizziert worden ift, würde weit
über eine Angelegenheit eines Bundesftaates
hinauswachfen. Die Galerie der deutfehen Kunft
vom Ende des 17. Jahrhunderts bis zur Gegen-
wart ift Reichsfache. Das mag ungewohnt
klingen, denn in Deutfclpand ift bisher all das
Kiefen, das ins Bereich der fogenannten Kultur-
minifterien fiel, am ängftlichften als zurbundes-
ftaatlichen Kompetenz gehörig gehütet worden,
und wir hätten im ganzen Reichsgefüge bisher
keinen Plag, an dem ein Reichsmufeum ver-
waltungsmäßig unterzubringen wäre. Äber wir
find ja in der Revolution, und was hätte eine

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