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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 11.1919

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Heft 19
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Landsberger, Franz: Impressionismus und Expressionismus, [1], zur Apologie des Impressionismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.21394#0638

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Impreffionismus und Bxpreffionismus
I. 3ur Äpologie des Impreffionismus von franz Landsberger


Das Üdort „Expreffionismus“ ift geprägt im Einblick auf das {Hort „Impreffionis-
mus“: einer Kunft des „Eindrucks“ foll eine Kunft des „Ausdrucks“ entgegen-
geftellt werden, hierbei wird dann der Impreffionismus gern als eine Kunft
ofme jeden Ausdruck gebrandmarkt und das entfctjeidend Neue und Erlöfende eben
darin gefetjen, der Kunft wieder einen lebendigen Odem eingeblafen zu haben. So-
weit diefe Anfdjauung nicht überhaupt jede auf Naturnad)al)mung gerichtete Kunft
verwirft — darüber fpäter —, fdpleudert fie befonders gegen den Impreffionismus die
Anklage der Geiftlofigkeit, weil in il)m der Künftler der Natur rein paf[iv gegenüber-
ftelpt und fiel) zum „Grammophon der äußeren dielt erniedrigt“ (f). Bahr), indem er
die Erlebniffe feiner Netzhaut gehorfam niederfchreibt, ohne auf die empfangenen Reize
zu antworten.
Diefer Einfprud) ift nicht fo ohne weiteres von der F)and zu weifen: in der Cat
ftellt ja der Impreffionismus ein Sehen dar, bei dem die zufügende Cätigkeit des
Geiftes unterdrückt wird. Nur wäre der Vorwurf dann freilich gegen die Kunft fd)on
auf früherer Stufe ihrer Entwicklung zu erheben. Auch die gefeljmäßige Perfpektive,
welche bekanntlich die Italienifche Renaiffance zum erften Male in aller Kunftgefd)icl)te
überhaupt in ihren Bildern verwandt hat, feßt ein Sehen voraus, das die korrigierende
Fjilfe des Geiftes vernachläffigt. (Hürde nämlich das Auge des Menfchen ohne weiteres
die Gegenftände in richtiger Verkürzung fehlen, fo hätte es nicht der Intuition des
großen Brunellefcßi bedurft, um diefe Erkenntnis zu ftatuieren; es hätte dann jeder
Dußend-Maler fiel) nur vor ein paar Baulichkeiten zu feßen und das Gefchaute auf
einer Cafel wiederzugeben brauchen: das fo entftandene Bild hätte ihm die Gefeße
der Perfpektive ganz von felber entgegengetragen. Aber wie jeder Verfucl) fofort
dartut, fieht der Menfd) die (Heit - - außer in einigen befonders markanten Fällen,
z. B. wenn er in eine tiefe Baumallee hineinblickt — nicht in gefeßmäßiger Perfpektive,
weil das (Hiffen um die Dinge die perfpektivifeßen Verzerrungen ein wenig ausgleicßt,
die fallenden Linien zu heben, die fteigenden zu fenken und die Verkleinerungen auf
ihr richtiges Maß zu erhöhen fucl)t.
In diefer Richtung, das Sehen des Menfchen von feinem (Hiffen immer gelöfter dar-
zuftellen, ift der Impreffionismus nun freilich einen beträchtlichen Schritt weiter vor-
wärts gegangen. Man hat mit Recht an die Beobachtung Schopenhauers erinnert, daß
das bloße Sehen ohne die Mithilfe des Verftandes „nichts weiter als eine mannig-
faltige Affektion der Retina, ganz ähnlich dem Anblick einer Palette mit vielerlei
bunten Farbenklexen“ fei (in der Abhandlung über den Saß vom Grunde § 21), und
ein folcfies Sehen gibt ja der impreffioniftifche Maler wieder, wenn er die Gegenftände
der Außenwelt in einzelnen Farbentupfen auffängt.
Aber hat diefe fortfehreitende Entgeiftigung des dargeftellten Sehaktes notwendig
eine fortfehreitende Entgeiftigung der Kunft felbft zur Folge gehabt? Schon die Eat-
fad)e, daß mit der Renaiffance die individuelle Künftlerperfönlid)keit in ftarkem (Hacßs-
tum begriffen ift, follte zu denken geben. Verleiht nicht die Fülle der aufgenommenen
(Heit zugleich eine Fülle von Möglichkeiten, diefe (Heit in perfönlicher Färbung zurück-
zuftrahlen? (Has den Impreffionismus felbft angeht, fo ift er bei der 3erteilung der
Objekte in einzelne Farbenflecke keineswegs fteßengeblieben, fondern hat fiel) ihrer

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