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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 12.1920

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Kunstpolitik
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Die 3eit und der Markt

Kun ft politik
Der Kunftfd)u{3 im Kriege
Es ift ein doppelt flhweres Ämt gewefen,
das die deutfd)e Kunftwiffenfchaft während des
Öleltkrieges zu übernehmen hatte, um von dem
alten Kulturgute der Nationen, das von der
Ölelle der ßegreich vordringenden Armeen über"
putet wurde, für die Menfchheit zu retten, fo
viel als irgend möglich war. Denn es lag in
der Materie begründet, daß die Intereffen des
Geiftes den rein militärifchen Notwendigkeiten
in mehr als einem Punkte widerßanden. ünd
es muß heute, wo die Gefchehniffe diefer mehr
als vier Jahre wie ein wüfter Albdruck hinter
uns liegen, offen gefagt werden, daß leider bei
Kriegsbeginn eine zentrale Stelle in der deut-
fehen Organifation fehlte, die die Denkmalpflege
im Großen hätte übernehmen und organifleren
können.
Nicht darum handelt es fleh nämlich, ob un-
fere Feinde etwa ähnlich um die Erhaltung un-
serer Kunfldenkmäler bemüht gewefen wären,
wenn die ftrategifche Entwicklung des Krieges
anders erfolgt und die weftlichen Provinzen
unferes Vaterlandes zum Schauplatz der Kämpfe
geworden wären — wie Belgien, Nordfrankreich,
Polen, Litauen und Kurland, von anderen nicht
zu fprechen. Sondern einfach um die Eatfache,
daß wir es fchon von Anfang an trotz allem
„Barbarengeheul“ — als pttlichePflicht empfunden
hatten, die Schrecken des Kriegsgottes nach
Kräften zu mildern und der 3erftörung zu ent-
reißen, was irgend an Kulturgut zu retten, zu
fchützen oder gar aus der Nähe der Gefahr zu
bergen war. Es unterliegt auch keinem 3weifel,
daß, wenn man in Berlin gleich die Größe diefer
Aufgabe erkannt und eine Organifation ge-
fcflaffen hätte, in der die berufenen Vertreter
der öliffenfehaft mit weitgehenden Vollmachten
gegenüber den militärifchen Stellen ausgerüftet
gewefen wären, unendlich viel mehr von wert-
vollem Kunftgut zu retten gewefen wäre. Das
gilt ganz befonders für die erften Monate des
Krieges, wo die Sturmflut über Belgien und
Nordfrankreich hereinbrandete und man felbft
an den höchflen militärifchen Stellen in Berlin
der Meinung war, der „Feldzug“ fei öleihnachten
1914 bereits zu Ende. —
ölenn fleh trotzdem nach und nach die Idee
des Kunftfchutzes und der Denkmalpflege immer
ftärker durchgefefzt hat und fleh gerade auf
diefem Gebiete der Kunftwiffenfchaft nach und
nach eine große und lohnende Aufgabe erfdfloß,

fo ift dies faft das ausflhließliche Verdienft
Clemens, der jahrzehntelang im Dienfte der
rheinifchen Denkmalpflege geftanden und vom
erften Eage des Krieges an feine ganze Perfön-
lichkeit gewiffermaßen nur diefer einen Idee
geopfert hat, weil es für ihn feftftand, daß es
fich hier um eine Ehrenfache des deutfehen
Volkes handelte. Clemen hat fleh mit einer
Hartnäckigkeit für diefe Sache eingefetzt, die
Bewunderung verdient. Immer wieder hat er
der oberften Heeresleitung die Genehmigung zu
Reifen und Einzelmaßnahmen abgekämpft. Un-
unterbrochen ift er unterwegs gewefen, um auf
den einzelnen Kriegsfchauplätzen Umflhau zu
halten und an entfeheidenden Stellen felbft ein-
zugreifen, wo die Initiative der Armeeführung
verfagte. Daneben hat er wiffenfchaftlich mit
feinen Gehilfen auszudeuten und zu ordnen ver-
flacht, was irgend in den Bereich feiner Tätig-
keit kam. Allein diefe Ausbeute eines bis dahin
noch nie oder doch mehr als unzulänglich er-
forfchten Materials follte unferen Feinden einige
Achtung vor der deutfehen öliffenfehaft ab-
nötigen. So wäre an die Inventarifation der
belgiflhen Denkmäler, an die verfchiedenen
Publikationen aus Frankreich, vor allem an die-
jenige über die Kunfldenkmäler zwiflhen Maas
und Mofel und vieles mehr zu erinnern. Auch
die Durchforfchung des polnifchen und litauifchen
Materials ift kein geringes Verdienft der deut-
fehen öliffenfehaft, die fleh flhließlid) fogar der
mazedonischen und ferbiflhen Denkmäler zuge-
wendet hat.
Nicht auf die Leiftung im einzelnen kommt
es indes an, in die fich zahlreiche Forfcher und
Mitarbeiter teilen, fondern auf den Gedanken
als folchen, der propagandiflifche Kraft ent-
wickeln konnte, obwohl die berufenen und ver-
antwortlichen Stellen in Berlin fo gut wie ver-
fagt haben. Diefer Gedanke ift felbft noch in
der vorderften Linie unferer Kampftruppen leben-
dig geblieben, wie manche mutige Tat eines
kunflhiflorifch interefflerten Leutnants oder Unter-
offiziers beweifen könnte. Hätte man dagegen
an der verantwortlichen Stelle in Berlin die
Idee als folche fofort verflanden, würde man
vielleicht weniger Kriegsmaler, dafür um fo mehr
fähige Kunftgelehrte in die Kampfzone abge-
ordnet haben, die noch fehr viel mehr hätten
retten können, was heute, wo der preußifche
Größenwahn in diefem Sdflckfalsringen refllos
unterlegen ift, unfere Kreditfeite bei der letzten
Abrechnung mit unferen Feinden nicht wenig
verbeffern könnte.

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